Deine WhatsApp erschreckt mich. Dass du hier mit deinem Lebenspartner Urlaub machst, kann dir niemand verwehren. Ich kann es sogar ein Stück weit deine Freude darüber nachvollziehen, mich und F. zu besuchen. Aber ich will eigentlich nicht von dir besucht werden. Es wird wieder ein geschwisterlicher Kampf ums Rechthaben werden. In deinen Augen bin ich immer noch die kleine, die um 11 Jahre jüngere Schwester. Du denkst, wohlmeinend mit mir zu sprechen, und ich sage dir, dass du vorher nicht nachgedacht hast. Nicht über mich, nicht darüber, womit du mich übervorteilst. Du lässt mir nicht meine Ansichten, meine Gefühle und meine Art zu leben. Rede mir nicht wieder etwas aus, wenn wir uns heute Nachmittag unterhalten. Schon immer hatte ich den Eindruck, die Unterlegene zu sein. Wie auch immer ich mich für oder gegen etwas entschied, du hattest Argumente, warum mein Handeln falsch sei. Nicht ein einziges Mal habe ich es gewagt, dir in deine Lebensgestaltung hineinzureden. Und komm mir nur nicht wieder an und halte mir mein Verhalten gegenüber unseren Eltern vor. Ich hatte wahrlich Gründe, mich zu mir und meinen Grenzen zu bekennen. Das muss ich dir nicht erklären. Ich würde es wahrscheinlich sogar tun, wenn ich auch nur einen Schimmer des Eindrucks hätte, du würdest mich verstehen.
Nun bist du heute mit deinem Lebensgefährten im Anmarsch. Vielleicht hast du einfach nur Lust auf einen angenehmen Nachmittag. Vielleicht findest du es lustig, dass sich zwei Schwestern, die daheim gar nicht so arg weit voneinander wohnen, sich etliche tausend Kilometer weiter südlich treffen. Vielleicht sind es nur meine Sorgen mit dir, die ich eben geäußert habe.
Deshalb habe ich auch eigentlich keinen wirklichen Grund, dich hier nicht zu begrüßen. Aber ich bin angespannt. Merke, wie ich mir Worte für den Fall zurechtlege, dass du mehr von mir wissen willst, als ich sagen möchte. Könntest du denn mit einem Nein umgehen? Nein, ich möchte nicht darüber reden. Lass uns von was anderem sprechen. Schnappst du dann ein? Ich kenne deine Art, dann die Lippen zu schürzen und beleidigt zu schauen.
Du kennst seit vielen Jahren meine Reaktion auf dein Eindringen in meine Privatangelegenheiten. Du weißt, wie zurückhaltend ich dann werde. Warum bohrst du immer noch nach?
Vielleicht weißt du auch viel mehr über meine Kindheit und unsere Eltern als ich. Schließlich bist du viele Jahre älter als ich. Vielleicht weißt du von meinen Verletzungen. Vielleicht bist auch du verletzt worden? Dieser Gedanke kommt heute nicht zum ersten Mal.
Liebe Schwester, ich wünsche mir für heute und ab heute, dass wir uns gegenseitig unsere Privatsphäre lassen und uns Themen suchen, die uns beide interessieren. Bin gespannt, welche das sein könnten.
23.08.2019 09:05 •
x 7 #9