Neben Dallmayr in München, ganz zurückhaltend an die Hausecke gelehnt, steht oft ein alter Mann. Man sieht ihm an, dass er kein einfaches Leben hatte oder hat, er trägt tiefe Furchen im Gesicht. Er ist gepflegt gekleidet, aber nicht reich, so wie viele Kunden, die bei Dallmayr ein- und ausgehen. Er steht gerade, sein Blick ist freundlich und sicher.
Als ich ihn das erste Mal sah, überlegte ich, was er dort tut, denn es sah nicht so aus, als ob er einfach mal stehengeblieben war. Auch nicht, als ob er auf wen wartete. Irgendwie kam mir bekannt vor, wie er da stand, aber irgendwie auch nicht.
Als ich bei Dallmayr rauskam und er dort immer noch stand, fragte ich ihn, ob er Hilfe braucht und er meinte freundlich und schlicht: Ja, wenn Sie etwas übrig haben. . . Ich gab ihm etwas und kurze Zeit später las ich über ihn in in der Obdachlosenzeitung BISS: Er sei ein Bettler und bettle dort, weil die Medizin für seine schwer kranke Frau, die helfe, nicht von der Krankenkasse bezahlt werde und seine Rente dafür nicht reiche.
Und als ich daher nun wusste, dass er ein Bettler war, da dachte ich: Er bettelt mit Würde. Ohne Bettelschale, ohne zu sitzen und zu einem aufzuschauen und auf Augenhöhe in der Erwartung, dass wir anderen verstehen, was er braucht oder fragen.
Ich habe nicht drüber nachgedacht, warum ich das dachte.
Dann in der Nähe meines ADHS-Docs ist ein großes Bistro mit Kaffee und Semmeln und warmem Essen, wo ständig viele Leute herumlaufen und da in einer Bauunterführung saß eine ganze Zeitlang ein Bettler in seinem Schlafsack mit seiner Bettelschale und oft auch einem Kaffebecher neben sich.
Ich schaute ihn genauer an, ob er zur Roma-Bettelmafia gehört, die leider ihr Geld ja doch wieder abgeben müssen an die Typen im Mercedes und sah aber dann, dass er ein pakistanisches oder afghanisches Aussehen hatte und dass er womöglich ein Flüchtling war. Zwar müssen die auch nicht betteln, aber vielleicht war bei ihm ein Problem, Bayern ist da unmenschlich hart.
Also gab ich ihm etwas in seine Bettelschale und fragte, ob er noch einen Kaffee möge. Er sagte: Ja gerne, aber nicht mit dieser ekeligen Kondensmilch, sondern nur Milch, wenn sie sie haben und mit 4 Löffeln Zucker. Ich sagte ihm, dass ich in Sachen Milch genau denselben Geschmack habe wie er und holte ihm noch seinen Kaffee.
Er hatte auch seine Würde und formulierte freundlich seine Wünsche.
Wenn ich jetzt so nachdenke, dann kann niemand seine Würde verlieren, denn die ist ihm angeborenes Recht. Aber man kann sich würdelos fühlen, weil man sich aufgegeben hat oder verroht oder sich selber hasst oder in einer Sucht steckt oder sich selber ekelig findet.
Und ich selber habe anscheinend auch bei den Bettlern die Würde- Einstufung gehabt, nach der ich sie mit Würde, Bettler oder Penner innerlich nannte, ohne weiter nachzudenken.
Eigentlich ist Würde, dass ich das angeborene Anrecht habe, mich immer grade aufzurichten und jedem in die Augen zu schauen und auf Augenhöhe zu begegnen, und wenn ich n.ackt aus der Mülltonne gucke. . .
06.02.2021 10:51 •
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