Jeder Einzelne hat seine eigene Belastungs- und Leidensgeschichte mit den Lockdowns. Den ersten Lockdown steckte meine Familie noch gut weg, eigentlich kriegten meine überarbeiteten Männer erstmal durch Homeoffice bzw. Sohni durch seine geschlossene Arbeitsstelle sowas wie Erholung. Und ich lebte sowieso seit einigen Jahren so wie im Lockdown.
Dann waren wir auch noch zu naiv im Sinne von einfach unerfahren mit dieser ganzen weltumspannenden Pandemiegeschichte. Dabei kann sich Gögas Tante aus ihrer jungen Ärztinnenzeit in den 50er Jahren noch dran erinnern, wie ganze Krankenhausräume voller Kinder in eisernen Lungen waren wegen Kinderlähmung. Und die Fotos, die sie postete davon, waren ein Horror, wo nur die Köpfe der Kinder rausguckten aus diesen Eisendingern.
Erst ab dem 2. Lockdown begann Sohni so zu leiden wie du @Joline , obwohl seine Arbeitsstelle ja wieder geöffnet war und er mit regelmäßigen Tests auch sogar wieder mit auf die Wochenmärkte fahren konnte, die er so liebt.
Aber alle privaten Hobbies und Kontakte des Alltags fehlten ihm nun einfach zu lange und zu sehr und er ist ja ein junger Mann.
Dann quälten ihn mit seinen autistischen Belastungsgrenzen die wöchentlichen Nasaltests in der Arbeit tagelang jede Woche.
Und jetzt ist er zweimal geimpft, keine Tests mehr, keine Ausgangsbeschränkungen mehr! Er ist ein anderer Mensch! Und die Abstandsregelungen wie auch das Maskentragen, das ihm auch sehr gewöhnungsbedürftig erst war, hält er dafür gerne exakt ein!
Statt erschöpft und matt ist er jetzt wieder mit seinen geliebten Bahnen in München unterwegs und simst mir all die neuen und anderen Fahrzeugtypen und besucht seine KollegInnen auf dem heutigen Wochenmarkt, geht nach der Arbeit noch voller Elan seinem Shopping-Hobby nach.
Und mir ist es aber allmählich auch sehr schwer geworden, Sohni in Zusammenarbeit mit seiner Therapeutin immer wieder aufzubauen und zu helfen, dass keine grundsätzliche Grundverstimmung geprägt wird, die dann nicht mehr weg geht.
Ich selber brauche deshalb mehr Therapie und höhere Medis.
Und was mich dann zusätzlich zum 2. Lockdown hin ängstigte, waren die ganzen Bilder und Berichte von den völlig isolierten Intubierten in den Intensivstationen. Manche lagen bei vollem Bewusstsein an einer künstlichen Lunge und durften Wochenlang keine Angehörigen sehen, berühren.
Und das überlebten dann eh nur 50% und die anderen sahen dann einmal zum Abschied von dieser Welt nur noch voll vermummte Angehörige oder nicht mal das war erlaubt, dann nur Telefon.
Ich wusste, dass weder Sohni noch ich das nicht ohne stärkste Retraumatisierung aushalten könnten, aber bei Atemnot bliebe uns ja keine Wahl.
Darum war uns schon die 1. Impfung wie eine Rettung vor solch einem schlimmen Verlauf. Und wenn ich jetzt die Fotos sehe, wo in Indien vor den Kliniken Autoschlangen voller nach Atem ringender Menschen stehen, das ist doch nicht wie immer! Das ist ein Horror!
Und wenn eine neue Mutante mich dann treffen sollte, Hauptsache nicht dieser schlimmer Verlauf!
Und Göga geht die Isolation beruflich und privat auch auf den Wecker, aber so werden wir so gut bekocht wie noch nie und das noch gesunde Kost, um nicht fett zu werden in Coronazeiten.
Wie auch nach dem Bankenchaos 2008 werden wir aber nach den Lockdowns wirtschaftlich, sozial und schulisch und medizinisch wie individuell und psychisch eine Menge großer und kleiner Scherben zusammenkehren als Gesellschaft all der Menschen und Berufe und Orte und Bildungsmängel und Kontaktmängel und all des Krankmachenden aus dieser Pandemie. Wir werden viele Langzeitfolgen zeitigen.
08.05.2021 15:01 •
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