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Ist Genesung von Depression doch Willenssache?

Dys
Was ist denn Disziplin in Bezug zum eigenen Willen anderes, als die Beherrschung des eigenen Willens? Wenn ich etwas tue, dann weil ich es will oder trotzdem, obwohl ich es nicht will, es aber aus einer Ansicht heraus (eigene oder fremde) für richtig oder wichtig erachte. Halte ich mich an die Disziplin die ich zu Grunde lege, dann ist es am Ende doch nur mein Wille, weil ich ihn dahin gebracht habe. Es gibt meiner Meinung nach kein unbeteiligt sein von Willen wenn ich letztendlich auch handeln kann. Der Wille spielt nur dann keine Rolle mehr, wenn ich tatsächlich aus Gründen die mich hindern, nicht agieren kann.
So kann ich zwar Wollen, dass ich sehen kann, wenn aber die Augen fehlen, kann ich es nicht. Alles was ich aber tatsächlich tun könnte, weil es tatsächlich möglich ist, ist eine Frage des eigenen Willens. Und will ich nicht, dann will ich es so, nämlich eben nicht.

27.12.2024 08:08 • x 2 #31


Oli
O@Dys

Gleichzeitig denke ich, dass genau da die Depression dazwischen funkt und diese Beziehung stört.

Es gibt meiner Erfahrung nach einen Unterschied zwischen der Überwindung des inneren Schweinehundes und der Überwindung von Antriebslosigkeit durch eine Depression.

Wenn Depression durch Disziplin zu überwinden wäre, dann ist es meines Erachtens nicht wirklich eine Depression, wie ich sie von mir kenne.

Deshalb muss man ja in Therapie oder braucht Medis. Meiner Erfahrung nach erzeugt Willenskraft gegen die Depression eine riesige Gegenkraft, die letztlich so stark wird, dass man sich an ihr erschöpft.

Wenn ich beispielsweise meinen inneren Schweinehund überwinde, weil ich eigentlich ins Kino will und Leute treffen, aber draußen ist es kalt und regnerisch, dann lohnt sich die Überwindung des Schweinehundes, weil ich danach einen guten Abend habe.

Ich kenne aber auch Situationen, in denen ich meine Disziplin die gesamte Zeit auf hohem Niveau halten muss, um den Abend zu überstehen - beispielsweise eine Chorprobe. Und während andere dann erfrischt aus der Probe kommen, bin ich vollkommen abgenutzt - nicht weil ich Probleme mit Text oder Gesang hatte, sondern weil ich ständig gegen diese Gegenkraft ankämpfen musste, die mich dazu zwingen will, einfach den Mund nicht zu öffnen und den Saal zu verlassen.

Ich kenne das auch vom Sport. Es gab Zeiten, da musste ich mich zum Joggen halt „ganz normal“ überwinden. Aber dann ging es auch. Jetzt ist es so, dass ich auf der gesamten Strecke meinem Körper aktiv befehlen muss, überhaupt einen Schritt nach dem anderen zu tun, nicht einfach stehen zu bleiben und sich auf der Stelle auf den Boden zu setzen. Das ist Anstrengung für den gesamten Tag. Das kann ich mir schlicht nicht leisten, wenn ich noch meine Tochter aus der Schule abholen muss.

27.12.2024 13:16 • x 2 #32


A


Hallo Oli,

Ist Genesung von Depression doch Willenssache?

x 3#3


Dys
Zitat von Oli:
Es gibt meiner Erfahrung nach einen Unterschied zwischen der Überwindung des inneren Schweinehundes und der Überwindung von Antriebslosigkeit durch eine Depression

Eine Überwindung ist eine Überwindung. Was überwunden werden kann oder soll, ist wohl überwiegend individuell unterschiedlich.
Zitat von Oli:
Wenn Depression durch Disziplin zu überwinden wäre, dann ist es meines Erachtens nicht wirklich eine Depression, wie ich sie von mir kenne.

Wie man es letztendlich nennen mag, ist wohl von einem selbst abhängig. Eine überwundene Depression ist deswegen aber trotzdem eine Depression gewesen. Oder es war eben keine. Dann hat man natürlich keine überwunden. Aber das eine überwundene Depression keine gewesen sein soll, nur weil man sie überwunden hat, ist leider keine Schlußfolgerung die Sinn ergibt.

Depression hat manchmal das Symptom, nichts tun zu können und das ist dann der Grund dafür, dass man nichts tun kann, im Zeitpunkt dieses Zustands. Zustände können sich ändern. Das kann einfach so geschehen, dann wäre es eine Fügung. Oder eine Zustandsänderung wird willentlich herbeigeführt, dann wurde man tätig.
Ein geänderter Zustand ließe sich annehmen oder nicht. Auch da spielt ein Wollen eine Rolle, was aber die Zustände nicht ungeschehen machen kann und auch nicht deren Existenz absprechen könnte.

28.12.2024 07:48 • x 2 #33


Oli
@Dys

Ich kann nur davon berichten, wie ich es bei mir erlebe. Meine Aussage hat keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.

Disziplin hat bei mir wenig geholfen, die Depression abzumildern. Ich vermute, dass ein Übermaß an Selbstdisziplin mein Leben hohl gemacht hat und sich mein Körper dann Sachen ausgedacht hat, Selbstdisziplin abzuschalten.

Das bedeutet bei mir nun nicht, dass ich vollkommen disziplinlos durch den Tag irrlichter. Dazu ist Disziplin bei mir viel zu sehr verankert.

Aber ich habe eben bemerkt, dass ein pfleglicher Umgang mit mir selbst mich weiter gebracht hat - und dass der Versuch, mit Willenskraft die Depression klein zu kriegen nur dazu geführt hat, diese noch größer zu machen.

Interessanterweise habe ich in der Klinik, in der ich war, das erste Mal überhaupt erfahren, dass es eben gerade nicht um Willenskraft ging, sondern darum, die Depression als in dem Augenblick sinnvolle Maßnahme des Körpers anzusehen, die meinem Schutz dienen soll.

Es gab in dieser Klinik beispielsweise auch kein verpflichtendes Sportprogramm. Und ich habe kein einziges Mal dort gehört, dass man sich mit Willenskraft und Disziplin am eigenen Schopf aus dem Schlamassel ziehen muss - eine Aussage, sie ich bislang noch in jeder anderen Therapie und in jeder Ratgeberliteratur in der ein oder anderen Form mitgeteilt bekommen habe.

Das soll nun - ich wiederhole mich - nicht heißen, dass es nicht möglich ist, sich aus einer Depression zu befreien, indem man sich zum Joggen zwingt und all diese Dinge mit Kraft tut, die so geraten werden.

Ich kenne aber nun ja auch keine Phasen meines Lebens ohne Depression.

28.12.2024 13:36 • x 2 #34


Marylu
Lieber Oli,
da kann ich dir nur zustimmen. Natürlich kann es sinnvoll sein, wenn es geht, rauszugehen und zu versuchen die Depression zu verscheuchen. Es wird aber eher schlimmer, wenn man es erzwingen will und es nicht schafft, denn dann geht es einem noch schlechter

28.12.2024 18:01 • x 6 #35


Dys
Zitat von Oli:
Aber ich habe eben bemerkt, dass ein pfleglicher Umgang mit mir selbst mich weiter gebracht hat - und dass der Versuch, mit Willenskraft die Depression klein zu kriegen nur dazu geführt hat, diese noch größer zu machen.

Aber entspringt denn der pflegliche Umgang mit Dir nicht Deinem Willen? Und wäre ein regelmäßiger solcher Umgang nicht eine Form der Disziplin? Was tust Du unwillentlich, dass Dich für Dich selbst weiterbringt? Und wenn es nicht deinem Willen entspringt, wer zwingt Dich dazu?

29.12.2024 08:02 • x 2 #36


J
Hallo!

Ich habe die Diskussion hier ein wenig mitverfolgt.

Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass bei mir ALLEINE der Willen nicht immer zur Überwindung der Depression geholfen hat.

Man muss schon den Willen haben, sich auf Therapien und Maßnahmen einzulassen, die der Depression entgegen wirken sollen.

Aber ich hatte Phasen, in denen ich mich überwinden musste, z.B. nur aufzustehen, mich dann zu waschen, mir ein Brot zu schmieren etc.. Die alltäglichsten Dinge kosteten mich Überwindung, und ich musste mir jeden Tag sagen, dass ich es z.B. schaffe, mir die Zähne zu putzen.

Und da kam ich ohne Hilfe nicht raus.

Wenn ich wieder merke, es könnte bergab gehen mit meiner Stimmung, also wenn die Depression sich leise meldet, dann kann ich mich überwinden, z.B. an die frische Luft zu gehen, um mir etwas Gutes zu tun.

Aber als ich so tief in der schweren Depression war, hatte ich, glaube ich, es nicht aus eigener Willenskraft und ohne Therapien geschafft. Und wenn dann gesagt wird: Reiß dich zusammen, Geh doch mal raus etc., und man schafft es nicht, dann wäre es noch schlimmer geworden.

Aber ich glaube jede und jeder erlebt diese tückische Depression anders. Vielleicht schafft es der eine oder die andere ja, alleine durch Willenskraft herauszukommen. Aber dann glaube ich, dass es noch nicht ene sehr schwere Depression ist.

Viele Grüße
Jandi

29.12.2024 13:05 • x 3 #37


Marylu
Liebe Jandi,
da stimme ich dir zu. Wenn man es alleine schafft, dann ist es keine,wie es immer so schön heißt, behandlungsbedürftige Depression

29.12.2024 13:57 • x 2 #38


Uerdinger
WWar denn in der Threadüberschrift davon die Rede, alleine durch Willenskraft seine Depression zu überwinden. War denn ausgeschlossen, zb Medis zu nehmen?

29.12.2024 14:36 • x 2 #39


hlena
Allein durch Willenskraft,hätte ich es wohl nicht geschafft.
Ich hatte immer die Willenskraft für die alltäglichen Dinge und für die Einhaltung meiner Termine.
Trotzdem wurde die Depression ärztlich mit Medikamenten behandelt,ohne die Medikamente hätte ich es wohl nicht geschafft.
Jede Dosisänderung habe ich wahrgenommen.

29.12.2024 16:38 • x 5 #40


J
@Uerdinger: Es war nicht explizit die Rede davon, dass man keine Medikamente nehmen dürfe oder es komplett alleine schaffen könne.

Aber am Anfang des Threads wurde ein Ratgeber beschrieben, in dem es hieß, man solle den schwarzen Hund überwinden, sich aufraffenund Leute treffen, ein positives Tagebuch schreiben...

Und wie ich Oli verstanden hatte, kam es ihm so vor, als hieße es, man solle einfach seinen inneren Schweinehund überwinden, und dann würde es besser.

Ich wollte nur darstellen, dass es bei mir Phasen gegeben hat, in denen ich es nicht geschafft hätte, ohne Hilfe und nur durch Willenskraft diesen inneren Schweinehund zu überwinden.

Vielleicht habe ich da auch etwas falsch verstanden.

Mir sind bei der Frage in der Überschrift des Threads einfach diese Tipps eingefallen, wie Stell dich nicht so an, Halt durch oder Reiß dich zusammen oder Geh spazieren..., die mir in einer schweren Phase leider nicht geholfen hatten, sondern mich sehr unter Druck gesetzt hatten, dass es mir nicht gut tat. Obwohl ich wusste, dass diese Ratschläge gut gemeint waren.

In einer leichteren Phase kann mir Willenskraft helfen.

29.12.2024 19:54 • x 3 #41


Oli
Hey!

Lieben Dank, dass Ihr versucht, Euch möglichst eng an der Frage zu orientieren. Wenn Ihr aber den Schwerpunkt verschiebt, weil Euch das interessiert, ist das für mich ok.

Ich hatte seinerzeit als Beispiel die Bücher von Matthew Johnstone: „Mein schwarzer Hubd“ und „Leben mit dem schwarzen Hund“ im Kopf, als ich das Thema hier gestartet habe.

Die beiden Bücher sind sehr anschaulich für Betroffene und Angehörige. Was mich aber irritiert hat, dass - wie in vielen Ratgeberbüchern, die ich kenne - die Depression als Störung beschrieben wird, für die der Betroffenen nichts kann. Bei den Hinweisen weiter hinten in den Büchern sind dann aber in der Regel immer Maßnahmen genannt, die m.E. dem ersten Teil der Bücher widersprechen. Da steht dann in der Regel immer etwas über Selbstdisziplin, so als ob das Loswerden der Depression ähnlich funktionieren würde wie abnehmen: eiserner Wille.

Da sich die Autor:innen der Bücher aber so einig darin waren, bekam ich natürlich Zweifel, ob ich vielleicht doch nur zu faul bin o.ä., um gesund zu werden.

Meine Erfahrung war aber eben jene, dass meine Depression immer größer wurde, je mehr ich dagegen ankämpfte.

Erst bei meinem stationären Aufenthalt, bei dem ich gelernt habe, meinem Körper Verständnis entgegen zu bringen, dass er mich mittels der Depression aus dem Spiel nimmt, um mich zu schützen, konnte ich tatsächlich Fortschritte machen.

Dennoch kann es ja sein, dass ich mit meiner Meinung Unrecht habe.

29.12.2024 21:35 • x 1 #42


J
Lieber Oli,

danke für die Rückmeldung!

Ich glaube, das hat nichts mit Recht oder Unrecht zu tun. Eher glaube ich, dass jede*r die Depression unterschiedlich empfindet und es auch dagegen individuelle Wege gibt.

Und uns hat es, so wie ich es verstehe, sehr unter Druck gesetzt, dass uns (durch Ratgeber oder wohlgemeinte Ratschläge) suggeriert wurde, wir könnten durch Willenskraft unsere Depression bekämpfen.

Noch heute beobachte ich mich dabei, dass ich versuche, durch Disziplin und Eigensuggestion gegen meine Depression anzukämpfen, aber es laugt mich eher aus als dass es mir gut tut.

Wie schon gesagt, es kann bei anderen ja anders sein.

Viele Grüße
Jandi

30.12.2024 19:23 • x 4 #43


Dys
Zitat von Oli:
Meine Erfahrung war aber eben jene, dass meine Depression immer größer wurde, je mehr ich dagegen ankämpfte

Wie sah denn der Kampf konkret aus?
Ich kann nicht definieren was (m)ein „Kampf“ gegen die Depression konkret als solchen auszeichnen würde. Die Depression erzeugt Zustände die ich nicht haben will. Da es Gemütszustände sind, wie traurig sein, oder niedergeschlagen sein, oder Lustlosigkeit, oder eine gefühlte Ohnmächtigkeit bezüglich an mich gestellte Anforderungen, was genau wäre denn kämpfenderweise dagegen zu setzen? Das könnte wohl eher nur gedanklich stattfinden. Gedanklich kämpfen, wie soll sich das gestalten?
Wenn Grübeln die Depression befördert, oder ein Merkmal dieser ist, ist selbstverständlich auch Grübeln darüber, dass es mir besser gehen soll, nicht unbedingt förderlich.

Was aber unerlässlich ist, etwas zu bekommen ist, es zumindest mal zu wollen. Und will ich es, dann kann ich Schritte unternehmen, in diese Richtung zu gehen, was ich aber natürlich auch wollen müsste. Also wenn ich etwas als „Kampf“ gegen die Depression benennen sollte, dann den Willen zu haben, nicht unter Depression zu leiden.

Wenn Joggen das einzige wäre, das die Depression besiegen kann, dann muss ich joggen wollen um es zu tun. Zum Glück ist es ja nun nicht so, denn Joggen will ich so gut wie nie.
Alle anderen Möglichkeiten muss ich aber auch wollen, um sie zu tun oder auszuprobieren. Wäre das nun Kampf, oder lediglich Überwindung, oder diszipliniertes Verhalten? Keine Ahnung, aber „Kampf“ klingt zumindest heroisch, wenn ich mir zugestehen will, eine gewisse Rechtfertigung zu haben, wenn ich in meinen Bemühungen mal gescheitert bin und es dabei belassen möchte. Dann hab ich auch eine Rechtfertigung, sagen zu können, wenn es kein Kampf ist, ist es keine Depression, vor allem wenn ich in nicht diesem Kampf unterliege. Und niemand würde fragen, wolltest Du nicht aus der Depression raus. Denn sowas ist ja die Voraussetzung und wird halt unterstellt, idealerweise. Da kann man sich aber selbst nur fragen, will ich das und danach schauen, was brauch ich, um es zu erreichen und dann beginnt die Arbeit, denn die ist es. Ich hatte zeitlebens einen „Kampf“ früh aus dem Bett zu kommen, weil es darin einfach gemütlich war. Der dreißigjährige Krieg war kürzer.

31.12.2024 08:51 • x 3 #44


A


Hallo Oli,

x 4#15


O
Kurz möchte ich mich hier einklinken:

Zitat von Dys:
was genau wäre denn kämpfenderweise dagegen zu setzen?

Für mich bestand der Kampf darin, die Depression zu überleben, so dramatisch das jetzt klingen mag.
Diese Zustände (Anspannung und Antriebslosigkeit, Schlaflosigkeit etc) waren unerträglich und eigentlich nicht aushaltbar. Ich erinnere mich, jede Minute nicht aushalten zu können und einsehen zu müssen, dass ich mit meinem Willen überhaupt nicht dagegen ankomme.
Zitat von Oli:
Aber ich habe eben bemerkt, dass ein pfleglicher Umgang mit mir selbst mich weiter gebracht hat - und dass der Versuch, mit Willenskraft die Depression klein zu kriegen nur dazu geführt hat, diese noch größer zu machen.

Genau so habe ich es auch erlebt.

01.01.2025 22:36 • x 3 #45

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