Ich verstehe irgendwie nach wie vor alle Seiten.
Ein Beruf oder Titel sagt erst einmal nichts über die soziale oder zwischenmenschliche Kompetenz aus. Es gibt unglaublich unempathische Ärzt*innen, Pflegepersonal, Arzthelfer*innen und es gibt hundertrpro auch sehr sozial engagierte Manager (doch, ganz sicher ).
Körperliche mit geistiger Arbeit zu vergleichen führt niemals zu einem sinnvollen Ergebnis. Und der Handwerker ist nicht schneller k.o. am Ende seines Berufes als der Akademiker - denn Letzteren kann ein Burnout oder andere, vor allem psychische, Folgen ähnlich schwer und dauerhaft ruinieren. Und wenn ich noch so viel Geld dafür hätte Rehas zu machen und teure Massagen - wenn ich als Workaholic diese Möglichkeiten nicht nutze, bringen sie mir herzlich wenig.
Genauso ist nicht jeder Handwerker ein Arbeitstier, auch da gibt es genügend, die kaum Gefahr laufen je einen körperlichen Schaden zu nehmen.
Ich selbst habe studiert und nicht abgeschlossen, ich komme aus einem Akademikerhaushalt und habe Freunde aus weniger gut betuchten Familien. Groß geworden bin ich mit massivem Konkurrenzdruck innerfamiliär, denn geschwisterlich wurde ganz stark getrennt zwischen kann was und ist wer - hat Abitur und traut man gar nichts zu, da nur Realschule. Das hat zu bösen Streitigkeiten geführt, durch die das Miteinander heute noch vergiftet ist, obwohl es von allen geschwisterlichen Seiten erkannt wurde, inzwischen gegenseitiges Verständnis herrscht und ein möglichst sicherer Umgang für alle Seiten versucht wird. Ich hasse es, dass es so ist, weil es ein normales geschwisterliches Miteinander schlicht unmöglich macht und weil der gemeinsame Kompromiss so sehr weh tut - aber er ist wirklich gut für unsere Situation.
Mich selbst nach abgebrochenen Studiengängen, zwei Ausbildungen und immer irgendetwas gearbeitet, plötzlich aufgrund von Burnout nach der Aussteuerung beim Amt zu melden, war unerträglich. Da habe ich ganz deutlich gemerkt wie tief die Gehirnwäsche sitzt, dass arbeitslos = ganz unten und ja sowieso schon Hartz IV ist.
Nein, ich schätze Menschen, die vom Amt leben, nicht weniger wert. Und dennoch fühlte ich mich weniger wert als ich darauf angewiesen war. Das wiederum impliziert mir, dass ich diese Menschen unterbewusst doch auch nicht so wertig anerkenne wie ich mir einbilde. Gut finde ich das nicht.
Dass aber auch Akademiker - oder sagen wir besser Menschen mit gut bezahlten Berufen (denn von denen hat nicht jeder studiert, so etwas erreicht man auch auf anderen Wegen, auch diese Menschen kenne ich) - sich angegriffen fühlen, wenn ihnen das eigene Erreichte gefühlt streitig gemacht oder nicht anerkannt wird, kann ich absolut nachvollziehen. Wir leben in einer Gesellschaft, die ein Studium mit Intelligenz gleichsetzt und auch hier kann ich bewusst versuchen mich davon zu befreien, aber das auch tief in meinem Inneren zu streichen, ist verflucht schwer. Und so ehrlich bin ich persönlich bei mir allemal, dass ich von mir sage das nicht so zu können wie es auch meiner idealistischen Vorstellung entspräche. Der Kommunismus ist die perfekte Staatsform, das Problem dabei ist der Mensch. Irgend ein schlauer Kopf hat diesen Satz einst gesagt und ich teile ihn und nehme mich selbst nicht raus aus dieser Problemmasse.
Und ich sehe auch eine Rechtfertigung für unterschiedliche Bezahlung. Die Verantwortung ist sicher ein Aspekt, aber auch das, was fachlich geleistet wird. Diese Diskussion habe ich schon oft mit meinem besten Freund geführt, der hier finanziell als auch beruflich die kapitalistische Seite vertritt (und natürlich auch zu einem Großteil diese Meinung), wohingegen ich mit dem sozialen Beruf verbunden mit dem sehr mageren Gehalt die sozialkommunistische Meinung einnehme. Und er hat auch Recht damit, dass hier kurzfristig alles zusammenbrechen würde, würden Banken und IT-Systeme ausfallen, wohingegen die demente Oma auch eine Zeitlang von einem Angehörigen oder eben dem Banker gepflegt werden kann. Es geht hier keinesfalls um eine dauerhafte Lösung, das ist völlig klar und beide Seiten können Teile der Arbeit des Anderen ausüben, aber manches lässt sich eben leichter, schneller und für eine breitere Masse erlernen als andere Berufe, für die man schon ein gewisses Verständnis braucht. Und dass die dann auch ein Anrecht auf eine andere Vergütung haben, ist ebenso klar. Zumal es von denen ja auch meist weniger gibt als von den allgemeinen Arbeitern (bitte nicht auf einzelnen Wörtern herumreiten, ich verallgemeinere hier ganz bewusst, sonst wird der eh schon lange Post ein kleines Taschenbuch...), weshalb die vermutlich auch gar nicht alle so hohe Summen verdienen könnten.
Dass es in unserem Land und in weiten Teilen unserer Welt inzwischen in keinem Verhältnis mehr steht wie viel der Manager im Vergleich zu seinem einfachen Angestellten oder gar der Putzfrau verdient, steht hierbei außer Frage und das wurde auch in der Öffentlichkeit schon oft genug mit Zahlen und Empörung breitgetreten. Leider ohne jegliche Folgen, auch das wird hier so langsam zur Gewohnheit... Anderes Thema.
Ich glaube ihr hattet damit mal angefangen, ob sich eine Putzfrau und ein Arzt auf der gleichen Ebene unterhalten könnten oder ob es doch eher berufsähnliche Gruppen leichter haben miteinander. Also ich kann sagen, dass gerade in meinem Kollegium so unterschiedliche Typen von Menschen sind, dass ich da bei Weitem nicht mit jedem eine gemeinsame Gesprächsgrundlage finde - nicht einmal fachlich-beruflich. Insofern bin ich sehr wohl der Meinung, dass ein gutes und für beide Seiten erfüllendes Gespräch einzig und alleine davon abhängt, ob die beiden Menschen als Menschen miteinander eine Basis finden - da ist der Beruf oder die Qualifikation völlig egal.
Und immer noch verstehe ich hier alle Seiten, Freak der ich bin.
27.03.2021 12:24 •
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