
Oli
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Hüther wird in Wiki als Neurobiologe und Verfasser populärwissenschaftlicher Schriften beschrieben.
Leider trennt er beides nicht immer sauber voneinander, so mein Eindruck. Als jemand, der sich nicht wissenschaftlich mit Gesellschafts- oder Sozialwissenschaften, Pädagogik oder Psychologie beschäftigt hat, würde ich mir wünschen, er würde mehr Zurückhaltung üben, wenn es um die Übertragung seiner neurobiologischen Erkenntnisse auf die moderne Gesellschaft geht.
Er kann natürlich gerne seine Meinung darüber in Bücher schreiben. Diese, seine Meinung, aber als besonders fundiert erscheinen zu lassen, weil er auf dem Gebiet der Neurobiologie eine Koryphäe ist, vermiest mir als Pädagogen etwas die Laune.
Die Erziehungswissenschaften und die Psychologie haben schon lange ganz brauchbare Theorien zum Lernen und zum Großwerden, die sich aber vielerorts nicht in der Alltagspädagogik niedergeschlagen haben.
Und jetzt drehe ich das mal zum Guten:
Insofern kann es mir als Pädagoge ja nur Recht sein, dass das, was wir uns schon lange für Schülerinnen und Schüler wünschen, vielleicht durch Herrn Hüther und Co. endlich Gehör findet.
Ich finde die Unterstellungen der Erwachsenen, wie intrigant, faul und hinterhältig das Kind an sich ist, unerträglich. Und ich erlebe das fast täglich, auch wenn viele das natürlich von sich weisen würden.
Dass Kinder die Erwachsenen „austesten“ halte ich für schlicht falsch. Kinder folgen ihren Impulsen - und wenn eine neue Person da ist, lernen sie bei dieser Person neu, welche Impulse zugelassen werden. Wir Erwachsene sind aber leider zu egozentrisch, als dass wir mal von unserer Weltsicht abstrahieren könnten, dass alle immer gegen uns sind. Da langt halt das Gehirn nicht. Aber man kann doch von uns Erwachsenen zumindest erwarten, dass wir genau das wissen und reflektieren.
Es sind in der Regel die Unterstellungen von uns Erwachsenen, die die Kinder dann tatsächlich faul und opportunistisch werden lassen.
Einzelbeispiele:
Ich schiebe meine Tochter mit drei Jahren auf ihrem Roller, weil sie sich das von mir gewünscht hat. Eine Bekannte - Mutter von zwei Kindern und Therapeutin - wendet ein: „Das würde ich nicht machen. Die gewöhnen sich da ganz schnell dran“ Ich habe mich gefragt: „Wer sind DIE und was bedeutet „DA“. Ich schob meine Tochter weiter im Vertrauen darauf, dass ein drei-Jahre-altes Kind einen großen Bewegungsdrang hat und es schon einen triftigen Grund haben wird, dass sie geschoben werden möchte. 20 Meter weiter sagt sie: „Papa, bitte höre auf mich zu schieben, ich möchte selbst fahren“. Ich kann nur spekulieren, was der Grund ihrer Bitte war, geschoben zu werden: Sie hatte den Roller noch neu und er war durch einen Knauf über die Vorderräder lenkbar. Zusammen mit dem Treten ist das am Anfang eine motorischen Herausforderung. An der Stelle, an der sie mich bat, war der Bürgersteig sehr eng. Da war lenken Herausforderung genug für sie.
Was wäre passiert, wenn ich mich geweigert hätte, sie zu schieben, „damit DIE sich nicht DARAN gewöhnen“? Es hätte Streit gegeben. Ich hätte mich vermutlich durchgesetzt. Meine Tochter hätte dadurch gelernt, dass ihre Bedürfnisse nicht gehört werden und sie von mir überfordert wird, was sie letztlich vorsichtig werden lässt, Dinge auszuprobieren: Erziehung zu Faulheit und Hinterhältigkeit allein durch falsche Unterstellung von Erwachsenen, die zuviel von sich ausgehen.
Ich habe meine Tochter im Bad dabei gesehen, wie sie mit Wasser herumgespritzt hat. Das wollte ich nicht und habe sie, hinter ihr hergehend, aus dem Badezimmer komplimentiert. Dann ist sie plötzlich an mir vorbei zurück ins Badezimmer gewitscht. Ich habe nach ihr gegriffen, sie aber verfehlt. Ich habe ihr unterstellt, mich ausgetrickst zu haben, um weiter mit Wasser rumspritzen zu können. Was hat sie aber stattdessen gemacht? Sie hat den Wasserhahn richtig zugedreht. Hätte ich nicht daneben gegriffen, als sie an mir vorbei gezischt ist, hätte es evtl. negative Konsequenzen für sie gehabt auf Grund einer falschen Unterstellung von mir. Was hätte sie daraus wohl gelernt? Vielleicht, dass sie für gute Absichten bestraft wird und man daher sowas dann also am besten nicht mehr hat.