Hallo, ihr Lieben,
ich bin seit ein paar Wochen stille Mitleserin und ebenfalls Angehörige eines Betroffenen (ist in langjähriger Therapie und dort gut aufgehoben). Da ich gerne so weit wie es geht anonym bleiben möchte, schreibe ich nicht viel zu meinen persönlichen Umständen oder die meines Gegenübers. Soviel jedoch, sie sind sehr ähnlich wie die von euch beschriebenen.
Vielen tausend Dank an dieser Stelle an Euch Alle für eure Offenheit und hilfreichen Worte!
Habe mir zu dem Thema sozialer Rückzug bei depressiven Episoden - wie als Angehörige:r damit umgehen? in der letzten Zeit viele Gedanken gemacht, vor allen Dingen, um mir die Zeit der Kontaktlosigkeit/emotionalen Distanz und den Umgang damit zu erleichtern und damit auch meinen Gegenüber zu entlasten.
Vielleicht erscheinen die Ansätze auf den ersten Blick sehr analytisch, aber seid euch gewiss, mir fällt die plötzliche emotionale Distanz meines Gegenübers ebenfalls schwer. Was ich jedoch erkannt habe, ist, dass mir Verstehen und Wissen viel Sicherheit geben.
1. Umgang mit Verhaltensweisen meines Gegenübers.
Habe mich lange gefragt, was genau mir persönlich an der Situation schwerfällt, dass sie mich phasenweise so sehr lähmt. Erinnert mich diese Situation vielleicht an Gegebenheiten, die mich in meinem Leben bisher negativ beeinflusst haben und die mich plötzlich wieder daran erinnern oder sogar triggern?
Hier konnte ich langsam verstehen, dass ich schon immer große Schwierigkeiten hatte, Menschen zu vertrauen. In akuten Situationen von Gefühlen der Kontrollosigkeit und Ohnmacht, habe ich festgestellt, irrationale Angst davor zu haben, dass sich Situationen in denen ich verlassen werden könnte, wiederholen.
Überkommen mich solche Gefühle, sage ich mir mantramäßig daher oft: Person X ist nicht Person Y. Die Situation ist neu und sie ist anders und ich kann daran arbeiten, dass es mir gut geht. Und versuche mich durch Entspannungsübungen zu beruhigen, um aus dieser negativen Gefühlsebene zu kommen. Ja, was soll ich sagen, klappt noch nicht immer, aber immer besser.
Es lohnt sich auf jeden Fall, sich da auch einmal selbst in Extremsituationen genau zu beobachten. Mir ist aufgefallen, dass vieles mit dem ich nicht zurecht komme, nicht immer mit dem Verhalten meines Gegenübers zu tun hat und dass auch ich in dieser Zeit sehr viel lernen kann und neu (er-)lernen muss, damit es mir besser geht (unabhängig von der aktuellen Situation).
2. Fehlende Ablenkung.
Ja, aktuell ist immer noch Pandemie und wenig Ablenkung vorhanden. Bin mir sehr sicher, hätte man momentan andere Möglichkeiten, könnte man sich ab und zu tatsächlich besser von der Außenwelt berieseln lassen und wieder etwas Leichtigkeit und auch Unbeschwertheit im Alltag erleben. Daher versuche ich mir das Leben so angenehm wie möglich zu machen:
2.1. Meditation und andere Entspannungs-/Achtsamkeitsübungen: um sich in akuten Situationen zu beruhigen, aber auch regelmäßig, um den Kopf von negativen Gedanken zu befreien. Eine Freundin hat mir erzählt, sie puzzelt abends häufig. Warum nicht? Entspannt auch. Habe allerdings erst einmal mit 500 Teilen angefangen, um mich nicht zu überfordern.
2.2. Wellness-Tag: geht gerade nur von zuhause, aber einmal in der Woche versuche ich mir einen Wellness-Tag einzurichten, mit persönlichem Verwöhn-Programm.
2.3. Wut auf die Depression ist erlaubt: Wut auch mal bewusst herauslassen, nicht unterdrücken. Erfordert auch Mut und den einen oder anderen Teller, aber tut gut. Geht auch über laute Musik und tanzen.
2.4. Fachwissen schafft Sicherheit: Zusammenhänge verstehen verschafft Sicherheit. Stoße ich mal wieder an meine Grenzen, hole ich mir ein Buch hervor und lese nochmal wiederholt Absätze, die mir neue Erkenntnisse verschafft haben, so kann ich mich immer etwas beruhigen, gerade abends oft bei mir der Fall und meine Gedanken sortieren.
3. Emotionen und kein Ende.
Auch ein Thema das mich im wahrsten Sinne schwer beschäftigt und leiden lässt. Durch eine Erkrankung muss ich leider Hormone nehmen, was meine Emotionen erst recht in Wallungen bringt (mir geht alles zu nah, weine schnell). Jede:r der/die mich kennt würde mich mehr als Verstandsmensch einordnen, die Hormone führen jedoch dazu, dass mich meine Gefühle regelrecht überschwemmen. Die Erkenntnis darüber hat mich dazu gebracht, mir das auch immer gedanklich bewusst zu machen, dass ich hier in Situationen oft überreagiere und das gibt mir dann die Gelegenheit gegenzusteuern. Auch hier helfen Entspannungsübungen wieder gut.
Erst einmal drei meiner persönlichen Aha-Momente.
Wünsche euch alles Liebe, tut euch etwas Gutes!
Schlüsselkind
23.08.2021 20:44 •
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