Schlank werden / will nicht dick sein - Bulemie

butterfly
Ich hoffe, dass der folgende Beitrag niemandem schadet. Trotzdem will ich es unbedingt loswerden, sonst ersticke ich.

Hallo liebe Forenmitglieder,

ich möchte heute über etwas schreiben, was mich schon lange belastet. Hab mich gestern gewogen, 94 kg bei 1,76m. (Werde demnächst 52.) Ich bin so veranlagt, dass man das sehr deutlich im Gesicht sieht, es wirkt sehr aufgedunsen. Ich habe wegen meines Gewichts starke Schuldgefühle. Seit 2002 nehm ich Antidepressivas, das hat mir ca 20 kg gebracht. Immer wieder höre ich, dass es nicht an den Antidepressivas liegt, sondern dass man weniger essen und sich mehr bewegen muss. Das verstärkt meine Schuldgefühle.

Ich war ein schlankes, eher dünnes Kind. Essen war nie ein Thema, außer in bezug auf extrem strenge Tischsitten. Meine 4 Jahre jüngere Schwester und ich wurden von den Großeltern betreut. Die waren auch sehr streng, aber nicht so schlimm wie mein Vater. Meine Oma hat uns oft mit Süßigkeiten belohnt, bei meinen Eltern gab es nur pro Tag ein kleines Stück Schokolade. Auch, wenn der Nikolaus oder der Osterhase da war oder Verwandte uns was geschenkt haben, mussten wir das sofort abgeben und bekamen eine winzige Ration täglich davon.

Als ich 11 Jahre alt war, wurde meine Oma von einem Auto angefahren und war sofort tot. Meine Mutter gab von einem Tag auf den anderen ihre Berufstätigkeit auf und betreute uns Kinder. Sie war als Hausfrau nicht glücklich und ließ das unterschwellig an mir aus.

Ich weiß nicht, wann der Schlankheitsterror losging, ob ich da 13 oder 14 war. Irgendwann hielt mir meine Mutter einen Vortrag, ich müsse jetzt aufpassen, dass ich nicht zu dick werde. Wahrscheinlich zeigte meine Figur da die allerersten weiblichen Rundungen, aber ich war sehr schlank. Als ich 14 war, hab ich meiner Mutter mal vorgerechnet, dass ich Idealgewicht habe, damals waren es 59 Kilo bei 1,76m. Darauf antwortete sie, dass das nur für erwachsene Frauen gelte, ein junges Mädchen wie ich dürfe bei dieser Größe nur 55 kg wiegen. Einmal sagte mir eine Mitschülerin, dass ich eine gute Figur habe, das hab ich dann zu Hause erzählt. Daraufhin sagte mein Vater: Andere Menschen sagen dir nicht die Wahrheit, die wollen Dir nur schmeicheln, nur deine Eltern meinen es gut mit Dir und sagen dir die Wahrheit. Du bist zu dick.

Meine Eltern und meine Schwester waren und sind superschlank. In dieser Familie wurde oft über dicke Menschen geschimpft und gelästert. Die sind willensschwach. Über manche Frauen lästerte mein Vater: Die hat eine Figur wie eine vollgeschissene Strumpfhose. Sehr witzig. Ich habe niemals Menschen nach äußeren Merkmalen verurteilt.
Als ich so ca 15 Jahre alt war, nahm ich zu (2-3 Kilo). Oft hat mich meine Mutter, als ich von der Schule heimkam, von Kopf bis Fuß gemustert und mir gesagt, ich hätte ein Kilo zugenommen. Dann folgte ein Vortrag. In meiner Familie gab es eine entfernte Verwandte, die stark übergewichtig war, ich denke, da lag eine Esstörung vor. meine Mutter jammerte mir immer vor, sie hätte solche Angst, ich würde so werden wie diese Frau. Ich habe in dieser Zeit viel gekämpft mit meinem Gewicht und viel gehungert. Da ich eine menge Probleme hatte, u.a. auch mit dem Stress aufm Gymnasium, hab ich teilweise mir heimlich vom Taschengeld 3 Tafeln Schokolade gekauft und neben dem Lernen gefuttert. Das hab ich dann durch Hungern wieder ausgeglichen. Irgendwann hab ich auch mit dem Kotzen angefangen.
Es war noch viel mehr in meiner Familie, was ich nicht ausgehalten hab, doch das würde jetzt zu weit führen. In vielen Lebenshilfe-Büchern steht, man soll seinen Eltern verzeihen, ich hab immer noch Probleme damit.
Ich hab gekämpft und gekämpft und irgendwann, als ich 16 war, hatte ich wieder die 60-Kilo-marke unterschritten. Da war mein Varer mal stolz auf mich und hat mich fotografiert. Als ich das Foto sah, dachte ich mir, jetzt hab ich so sehr gehungert und mich gequält und jetzt hab ich immer noch ein so hässliches, breites Gesicht. In dieser Zeit hatte ich eine Freundin in der Schule, die sehr schwer magersüchtig war. Sie hatte damals gerade noch die Kurve gekratzt, aber sie ist vor einigen Wochen gestorben. Aufgrund dieser Tatsache hielten sich meine Eltern etwas mit dem Schlankheitsterror zurück. Mein Vater kriegte aber ab und zu Wutanfälle. Manchmal, wenn ich mir beim Essen zuviel genommen habe. Du willenloses Etwas! Du bist so unförmig und wirst immer noch unförmiger werden! Mit 18 wog ich 68 Kilo, war also immer noch normalgewichtig. Einmal hab ich von meinem Opa eine Schachtel Pralinen geschenkt bekommen. Die hab ich versteckt und heimlich gefuttert. Meine Mutter hat die leere Schachtel gefunden und an den Fundort einen Brief gelegt, in dem stand, sie habe solche Angst, dass ich so werde wie die übergewichtige Verwandte. Den hab ich kommentarlos weggeworfen.

Mit 18 hab ich dann meinen ersten Mann kennengelernt. Das war eine große Erleichterung für mich, denn ich haqbe mich damals um meiner selbst willen von ihm geliebt gefühlt. Als das Abi vorbei war und ich arbeitete, gings auch ein bisschen bergab mit dem Gewicht. Ich war so erleichtert, meinen damaligen Partner als Bezugsperson zu haben und nicht diese Horror-Familie. Der Figur-Terror war nur ein Thema von vielen. Mit 23 wurde ich mutter.

Als ich 37 war, hat mich mein mann verlassen. Die Ehe war schon länger in der Krise und er hatte mehrere Frauen nebenbei. Er hatte auch seine Probleme und war S.. Bald darauf kam eine berufliche Versetzung, ich wurde Pendlerin und war natürlich alleinerziehend. Es gab berufliche Probleme und Probleme mit meiner Tochter. Es war mir sehr wichtig, eine gute Mutter zu sein. Es war alles sehr anstrengend. Wann ich das erste Mal Antidepressiva nahm, weiß ich nicht mehr. Im April 2002 wurde die Depression das erste Mal so richtig stark, und ich war kurz vorm Durchdrehen. Da begann dann die Odyddee durch die Welt der Antidepressivas. Ich nahm stark zu, obwohl ich sehr kämpfte und viel Sport trieb. Das Leben war extrem anstrengend in dieser Zeit. In der Arbeit wurde ich ausgenutzt. Trotzdem machte ich mir Vorwürfe, andere würden dieses Arbeitspensum locker schaffen nur ich sei zu blöd dazu.
Mit meinem Gewicht gings bergauf. Es war der Kampf mit dem eigenen Körper. Irgendwie ist der Deich der Selbstkontrolle, den ich so mühsam errichtet hatte, eingebrochen und das Meer des Übergewichts überflutet mich. Obwohl ich immer noch sehr kämpfe. Teilweise hatte ich auch wieder ein paar Kilo abgenommen. Durch viel Sport.

Ich glaube, es war September, als ich mit Duloxetin anfing. War es das Medikament oder einige schlimme Dinge, die in meinem Leben passiert sind, die Depression verschlimmerte sich. Ich wurde extrem müde, hatte das Gefühl, mich kaum bewegen zu können. In früheren Klinikaufenthalten hab ich gelernt, dass man sich zum Sport zwingen soll und das hab ich auch getan. Aber plötzlich gings nicht mehr. Es war, als hätte ich Bleigewichte an mir. und allein das Existieren war mühsam. Dieser schei. gegen sich selbst.
Als ich mich selbst verletzt habe, hab ich meine Nervenärztin angerufen und sie hat Clomipramin verschrieben. Inzwischen hab ich Duloxetin ausgeschlichen, möchte aber gerne eine pause machen. Muss ich noch mit ihr besprechen. Ich weine grad sehr viel, das tut mir sehr gut. Ich fühl mich dann lebendig und nicht mehr wie ne lebende leiche.

Seit ich dick bin, haben mich immer wieder mal Menschen auf meine Gewichtszunahme angesprochen und das oft nicht gerade in einfühlsamer Weise. Ich habe Komplexe. Oft denke ich, dass viele andere Menschen, wenn sie mich sehen, denken, mein Gott, ist die dick. Ich kämpfe und kämpfe und fühle mich trotzdem willwesschwach, weil ich dick bin. Sehr viele Süchte und psychische Erkrankungen kann man verbergen, aber das Dicksein nicht. Ich habe das Gefühl, ich trage ein ganz großes Schild um den Hals: Die ist willensschwach.

Niemals würde ich andere Menschen nach diesem Schema verurteilen. Diese Härte gilt nur für mich. Es gibt viele mollige Menschen, die ich sehr attraktiv finde, Nur mich selbst find ich unendlich hässlich, nicht nur wegen dem Dicksein. Wärend des Schreibens ist mir der Gedanke gekommen, ich könnte mir vorstellen, das hätte ein anderer geschrieben und ich würde diesen Menschen trösten wollen. Was würde ich da sagen.

Ich hoffe, dass dieser Beitrag niemand von Euch triggert. Ich hab ein schlechtes Gewissen dabei, das jetzt abzuschicken und anderern damit zu schaden, aber ich hab gleichzeitig den Wunsch, das mich das erleichtert.

An alle Dicken unter Euch: Wie geht Ihr mit dem Dicksein um? Haben welche unter Euch eine Lösung dafür gefunden? Gibt es welche, die selbstbewusst mit ihrem Dicksein umgehen? Ich bewundere die Schauspielerin Marianne Sägebrecht.

Liebe Grüße

butterfly

21.02.2014 20:53 • #1


achtsamkeit
Hallo Butterfly,
es ist gut, dass du dir hier einmal seelisch Luft gemacht hast. Schaden wirst du mit deinem Beitrag kaum jemanden. Vielmehr findest du User, die auch Gewichtsprobleme habe.
Was du als Kind und Jugendlicher bezogen auf Essen und Gewicht erleiden musstest, das ist einfach unfassbar. Dein Denken dreht sich ja nur um das Gewicht und Dicksein. Du bist gut so wie du bist. Dein Gewicht ist doch nur ein kleiner Teil deines Selbst! Deine Eltern sind ja neurotisch in Bezug auf Übergewichtige.
Sie gehören in eine Therapie!!!!
Wie du das alles ertragen hast.....unglaublich und das zeigt dir, dass du eine Willensstärke hast!!!
Ich habe auch zu viele Kilos und kann einfach Süßigkeiten nicht wiederstehen. Zudem tragen Medikamente mit zu dem Übergewicht bei, nicht alleine, aber sie haben ihren Anteil. Ich kenne eine Frau, die isst wirklich wie ein Spatz, aber durch Medikamente hat sie ein aufgedunsenes Gesicht. Aber ihr geht es damit besser und von daher akzeptiert sie sich so wie sie nun einmal ist. Und sie ist sehr liebenswert.
Schreibe doch einfach mal auf, was du an dir liebenswert findest! Eigenschaften, oder auch Körperteile.
Hast du schon einmal mit dem Gedanken gespielt dich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen?
Du hast in meinen Augen kein extremes Übergewicht! So lange mehr Kilos deiner Gesundheit nicht schaden ist es wichtig dass du lernst dich zu akzeptieren und keinen Erwartungen deiner Eltern erfüllen zu wollen. Löse dich von deren extremen Ansichten. Du bist du und dein Körper gehört dir!!!!!
Ich bin immer noch wütend über das Verhalten deiner Eltern.
Hoffentlich kannst du in einer Therapie diese Traumata aufarbeiten und endlich dein Leben führen!

LG Achtsamkeit

22.02.2014 13:20 • #2


A


Hallo butterfly,

Schlank werden / will nicht dick sein - Bulemie

x 3#3


butterfly
Hallo achtsamkeit,

danke für Deine tröstenden Worte! Kann grad nicht viel schreiben, mir gehts total schlecht. Ich muss das immer wieder hören, dass meine Eltern da nen Fehler gemacht haben, denn es ist trotz mehrerer Therapien immer noch der Glaubenssatz in meinem Unterbewusstsein gespeichert, dass alles nur gut gemeint war.

Alles Liebe

butterfly

27.02.2014 17:39 • #3


butterfly
Ich würde gerne wissen, wie andere Übergewichtige mit diesem Thema umgehen. Gibt es welche unter Euch, die das auch belastet, und vielleicht andere, die dazu stehen können?

Lg butterfly

04.03.2014 11:02 • #4

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