Muss ich mich selbst für ihn aufgeben? Kraft zu helfen

E
Hallo!

Ich bin neu hier und hoffe Leute hier zu treffen,die mein Gefühlchaos und meine Hilflosigkeit vielleicht verstehen und mir raten können.
Hier unsere Geschichte:

Mein Mann und ich sind seit 20 Jahren zusammen. In dieser Zeit haben wir so einige Hürden zusammen gemeistert. Er war nie der Mensch, der sein Herz auf der Zunge trägt,sondern eher der nüchterne Kopfdenker. Von zu Hause hat er die Leistungsspritze bekommen,unter den Mottos stell dich nicht so an,da mußt du durch,Leistung zählt im Leben ist er aufgewachsen. Ein großer Knackpunkt in seinem Leben war sicherlich der Ausfall sämtlicher Körperbehaarung und der verbundenen Angst mich zu verlieren.

Das hat uns enger zusammen geschweißt und der Freundeskreis wurde überarbeitet.
Unsere erstes Kind wurde geboren-alles perfekt, unser zweites Kind wurde geboren-alles schlimm. Die Maus war von Anfang an schwierig und nach einiger Zeit war klar, dass eine geistige Behinderung vorlag. Wir sind beide damit völlig unterschiedlich umgegangen. Ich wurde turbo aktiv um die bestmögliche Förderung zu gewährleisten,er hatte , wie er es nennt einen Tiefpunkt und hat zum Glück gleich auf seinen Hausarzt gehört und eine Gesprächstherapie begonnen, verzog sich aber gleichzeitig ins Gebiet Leistung konkret berufliche Qualifizierung...danach noch eine...und noch eine...und schließlich ein Abendstudium, das war vor 5 Jahren.

Ich war alles andere als begeistert,weil ich schon gesehen habe, dass er auf dem Zahnfleisch geht... aber nein Leistung!
In dieser Zeit hat er sich noch mehr verändert: launisch, agressiv, ruhelos....und ich hatt so meine Ahnung aber davon wollte er nichts wissen.
Letztes Jahr wurde es aber immer heftiger, er fühlte nichts mehr, alles nervte ihn,und wir kotzten ihn an und immer wieder Kopfschmerzen.Immer häufiger schnappte er sich am Wochenende sein Fahrrad und war damit den ganzen Tag unterwegs ohne auch vorher mal wenigsten Tschüß zu sagen oder er lag den ganzen Tag im Bett und keiner von uns dürft sich rühren.

Im Januar diesen Jahres kam der komplette Zusammenbruch. Seit dem ist er komplett zu Hause und kann nicht mehr arbeiten gehen. Ohne Psychopharmaka geht gar nichts und die erneute Gesprächstherapie ist auch ganz wichtig für ihn.
Und da steh ich nun, bin der Meinung ihn bisher immer unterstützt und alles für ihn getan zu haben und immer für ihn dagewesen zu sein, habe manche bittere Pille geschluckt und nun... ja nun bin ich die jenige, die keine Rücksicht auf ihn nimmt, der alles völlig egal ist. Ich weiß nicht mehr weiter - ich liebe ihn - aber es tut einfach nur noch weh.

Ein Vorwurf jagt den nächsten:wie du das formuliert hast,was du da an hast,dein Blick,du guckst genervt,du redest zu laut,du bist zu dick,deine Haare sehen schrecklich aus,du kümmerst dich um alles andere nur nicht um das wesentliche,du kapierst es einfach nicht,hast du eigentlich eine Ahnung von irgendwas,was tust du eigentlich für mich. Ja, was tu ich eigentlich außer meiner Selbstaufgabe? Ja, was tu ich eigentlich als zweifache vollberufstätige Mutter, die vor der Arbeit schön den Alptraumschilderungen ihres Mannes lauscht...ihm das Frühstück macht, weil er das heute nicht schafft...die nach der Arbeit Kind zur Therapiestunde, Zahnarzt o. ä. fährt,Kind zum Volleyball fährt, schnell nochmal Vokabeln abfragt oder über Mathe noch mal drüberschaut bevor sie Abendessen kocht, die Wäsche macht, putzt während ihr Mann von wirtschaftlichen Dingen erzählt, dem Plan sich selbständig zu machen, seinem neuen Leben, den Vorwürfen nichts für unsere Beziehung zu tun...ja, was tu ich eigentlich...ich halte den Familienalltag am Laufen...erkläre ihm, wie wichtig er mir ist...erkläre den Kindern, dass der Papa das geschimpfte sicher nicht so gemeint hat...es ihm heute nicht so gut geht...es nichts persönlich mit euch zu tun hat...meinen Schwiegereltern in den Hintern kriechen, damit sie am Wochenende unsere jüngeres Kind beaufsichtigen, damit ich 1000% nur für meinen Mann da bin....tja, was tu ich eigentlich?

Ich bin an einem Punkt an dem es immer mehr Wut gibt. Ich solche Sätze wie du musst Verständnis haben du musst dich zurück nehmen nicht mehr hören kann.
Wenn ich mich noch mehr zurücknehme und für alles Verständnis aufbringe bin ich irgendwann nicht mehr ich selbst.

Muss das so sein? Muss man sich selbst aufgeben? Natürlich sehen depressive Menschen nur sich selbst - aber muss man als Partnerin alles erdulden und komentarlos geschehen lassen? Ist man nur dann die richtige Partnerin? Hat man nur dann eine gemeinsame Zukunft.
Eine stationäre Behandlung kommt für ihn nicht in Frage - aber den Kindern und mir täte es glaub ich gut, um mal ein bisschen Abstand zu bekommen und mal durchatmen zu können.

Ich brauche Kraft - mein eigener Akku ist leer, eine Schulter zum Anlehnen.... Hilfe!!!

01.11.2010 04:10 • #1


S
Hallo Eisblumen,

auch an dieser Stelle nochmals willkommen, wenn auch unter diesen so für dich schwierigen Umständen.

Ich weiß, wovon du schreibst, denn auch ich habe einen schwerstmehrfachbehinderten Sohn. Auch meine Ehe verläuft ähnlich, wie bei euch.

Einen Rat kann ich dir nicht wirklich geben. Ich möchte dir Mut machen, Prioritäten zu setzen. Wie willst du das alles alleine schaffen? Du kannst nicht einerseits für deine Kinder sorgen und dich auch noch um denen kranken Mann kümmern. Du hast dich zurzeit aufgegeben und funktionierst nur noch.

Als Entlastung wäre doch erstmal eine Unterstützung für dich wichtig. Besucht dein Kind eine entsprechende Einrichtung? Es gibt genügend Hilfsangebote, daß du als Mutter entlastet wirst.

Und zu deinem Mann kann ich dir nur sagen, versuche dich abzugrenzen. Ich weiß, das ist leichter gesagt, als getan. Doch dein Mann ist erwachsen und dein Kind braucht dich, ein Leben lang.

Wie sieht dein Mann eure Zukunft? Kannst du mit ihm über deinen Zustand reden? Ist er einsichtig? Was könnt ihr in eurem Zusammenleben verändern, daß es ein lebenswertes Leben wird?

Ich fühle mit dir und weiß, was du leistest. Hast du schon einmal daran gedacht, daß du dir therapeutische Hilfe suchst? Mir hat das damals sehr geholfen und ich habe Kleinigkeiten ändern können, die den Alltag und das Zusammenleben mit meinem depressiven Mann etwas vereinfachen. Allerdings ist das auch noch nicht die Lösung.

Serafina

01.11.2010 09:03 • #2


A


Hallo eisblumen,

Muss ich mich selbst für ihn aufgeben? Kraft zu helfen

x 3#3


E
Hallo Serafina,

danke für deinen raschen Kontakt.
Unser behindertes Kind ist, denke ich auf einem guten Weg und da sie eine Förderschule besucht kann dort auch schon vieles abgedeckt werden.
Mein Mann hat sich halt komplett aus dem Thema verabschiedet - weil er es nicht kann - aber ich muss.
Da unser Sohn zeitweise psychisch wegen Angstzuständen im Kleinkindalter behandelt werden musste, wurde ich dort super mit eingebunden, dieser Kontakt besteht auch zum Glück noch heute, dort wird mir einfach auch mal auf die Schulter geklopft und gesagt, was ich bisher gleistet habe ....!!!

Es ist die Abgrenzung von meinem Mann, die alles so schwierig macht. Denn das sind die Situationen die dazu führen, dass er meint ich nähme nicht genug Rücksicht auf ihn.
Trennungsgedanken habe ich auch relativ schnell verworfen, da unser Teenagerkind sich entscheiden würde beim Vater zu bleiben, aus Angst er könnte sich sonst etwas antun. Eine solche Verantwortung möchte ich meinem Kind nicht überlassen, wo sie doch schon so schwer für mich geworden ist.
Vielleicht ist meine Zeit einfach noch nicht gekommen... vielleicht bin ich nicht rücksichtslos genug... liebe ihn vielleicht auch selbstzerstöhrerich.

Manchmal habe ich den Eindruck, er ist mein drittes Kind, nur einfach viel anstrengender. Aber ich hätte gerne einen Mann mit breiten Schulter, halt zum anlehnen.

Fühlt sich auf jeden Fall schonmal gut an, es zu schreiben...

LG
eisblumen

01.11.2010 11:29 • #3


S
Hallo Eisblumen,

ich verstehe dich nur zu gut. Das ist ein wahnsinniger Spagat. Aber du reflektierst ja ganz gut und weißt, wohin du zurzeit nicht willst. Das ist schon Mal viel.

Ich glaube schon, wenn du deine Gedanken nicht verwirfst, du dich irgendwann entscheiden wirst. Ich bin selbst jahrelang in einer Gruppe von Eltern behinderter Kinder gewesen und habe mitbekommen, daß leider viele Ehen gescheitert sind. Eben weil die Väter mit der Belastung nicht klarkamen. Was nicht heißen soll, dass Männer schwächer sind als Frauen. Aber es gibt sie eben.

Auch ich brauche und suche eine starke Schulter, an die ich mich anlehnen kann. Auch ich kann mich zurzeit nicht von meinem Mann trennen, weil er eben auch stark depressiv ist und ich es mit meinem Sohn nicht alleine schaffe. Meine Kräfte haben derart nachgelassen, daß ich bereue, nicht früher die Notbremse gezogen zu haben und mich getrennt habe.

Aber ich glaube, du hast ein Ziel. Wenn es zurzeit noch verschwommen ist. Dein Teenagerkind wird älter und wird auch irgendwann für sich selbst leben wollen. So hart das klingt, aber in solch einer schwierigen Familiensituation kann man nur gemeinsam das Schicksal meistern. Zumal du ja auch alleine dastehst, ich meine damit ohne emotionale Unterstützung. Aber es wird die Zeit kommen, wo du Entscheidungen treffen wirst.

Viel Kraft.

Serafina

01.11.2010 12:27 • #4


K
Hallo eisblume....

Hab jetzt mal deinen Beitrag gelesen. Ich finde ihn schrecklich einerseits und dennoch sehr vertraut, bloß aus
einer anderen Perspektive. Er ermöglicht mir einen anderen Blickwinkel auf meine Beziehung.
Ich bin eine junge depressive Mutter und mein Partner möchte sich selbstständig machen und hat nur wenig Zeit.
Wir ziehen uns beide ziemlich runter und haben selten ein nettes Wort für den anderen übrig. Er erledigt den Geldkram,
ich kümmere mich um den Haushalt und unser Töchterchen...nur...
Und du hast recht, es sind diese Kleinigkeiten die einen fix und alle machen. Man tut alles - im besten Sinne des Partners,
opfert ein Stück seiner selbst und muss sich dann auch noch schlechte Laune und Gemecker anhören. Das ist in meiner
Partnerschaft bei uns beiden so. Jeder ist der Blitzableiter für den jeweils anderen.
Dank deinem Beitrag werde ich wieder versuchen netter zu sein und mehr Verständnis dafür aufzubringen dass es genauso auch
Anstrengung für meinen Partner bedeutet eine depressive Partnerin zu haben die ständig am Nörgeln ist...
Danke für diese unerwartete Einsicht, auch wenn das so von dir sicher nicht beabsichtigt war...

Gruß, von KiNjAl

22.11.2010 11:40 • #5

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