Medikamente und Therapie helfen nicht - was jetzt?

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Hallo, ich bin relativ neu hier und angenehm davon überrascht, welches Fachwissen hier versammelt ist. Ich möchte euch kurz meine „Leidensgeschichte“ beschreiben, in der Hoffnung vielleicht neue Ideen, Anregungen oder einfach „nur“ Reaktionen zu bekommen. Es ist für mich immer wieder tröstlich andere Lebensgeschichten zu lesen und zu spüren, dass ich nicht der Einzige auf der ganzen Welt bin, der diese TEUFLISCHE Krankheit in sich trägt. Kurze Beschreibung meines Krankheitsverlaufs: Ich bin 50 Jahre alt und leide seit meinem 26. Lebensjahr an rezidivierenden Depressionen. Manchmal schließen sich schwach ausgeprägte hypomanische Phasen an (Diagnose: Bipolar II). Die depressiven Phasen stehen jedoch absolut im Vordergrund.
Ich bin seit 22 Jahren selbstständig und habe einen (für mein Empfinden) sehr stressigen Job. Ich habe einen sehr hohen Leistungsanspruch, verzeihe mir keine Fehler, will alles alleine managen und „leide“ unter einem ausgeprägten Perfektionismus. Meine Ängste drehen sich fast ausschließlich um berufliches Versagen, Berufsunfähigkeit, wirtschaftlichen Ruin, Verarmungsangst. Ich mache seit Jahren Therapie (tiefenpsychologische Gesprächstherapie, Einzel). Viele „wertvolle“, „verschüttete“ Dinge sind ans Tageslicht getreten und konnten betrauert werden. Sehr wertvoll waren dabei Zusammenhänge aus der Familienkonstellation und –geschichte. Viele Gespräche mit meinen „therapieerfahrenen“ Schwestern (habe 3 Schwestern u. 2 Brüder) waren und sind „Gold wert“.

Allgemein ist anzumerken, dass bei mir sicherlich ein entscheidender endogener Anteil vorhanden ist. Meine Mutter durchlebte im Laufe ihres Lebens zahlreiche schwere depressive Episoden. Gelegentliche hypomanische Phasen sind auch wahrscheinlich.
Bei meiner Tante (mütterlicherseits) stellte sich das sehr ähnlich dar. Ihr konnte durch eine langjährige Lithiumprophylaxe einigermaßen geholfen werden.
Mein Onkel (mütterlicherseits) litt immer wieder an schweren Depressionen. Verschiedene Behandlungsansätze blieben erfolglos. Er nahm sich im Alter von 65 das Leben. Die „Depressionsleiden“ lassen sich bis weit in die mütterliche Linie zurückverfolgen.
Die Länge der depressiven Phasen und auch der beschwerdefreien Intervalle haben sich im Laufe der Zeit sehr verändert und scheinen nicht vorhersagbar zu sein.
Die frühen Jahre (95-97) waren durch längere (3-4 Monte) Phasen geprägt. Es schlossen sich 6-8 monatige („gute“, evtl. leicht hypomanische) Phasen an. 1997 war die Krise so heftig, dass ich seit Mitte Juli nicht mehr arbeiten konnte und ich entschied mich schließlich (aufgrund latenter Suizidalität) zu einem stationären Aufenthalt in der Psychosomatischen Klinik Kinzigtal in Gengenbach (Sept. – Ende Okt., 7 Wochen).
Die Depression verschwand aber erst Ende November nach schrittweiser Arbeitswiederaufnahme. Vor dem stationären Aufenthalt wurde ich auf eine Lithiumprophylaxe (Hypnorex) eingestellt, die ich allerdings nach ca. 1 Jahr wieder beendete.
Es folgte eine lange (5 Jahre), relativ stabile Phase bis zum Sommer 2003.
Berufliche Turbulenzen (Trennung von meinem damaligen Geschäftspartner) stürzten mich Ende 2003 in eine erneute Depression. In dieser Zeit begann ich wieder mit der Lithiumprophylaxe (Quilonum ret. 450 mg), die ich bis heute Aufrecht erhalte. Nach dieser schweren Krise schloss sich wieder eine lange (5 Jahre), relativ stabile Phase mit teilweise hypomanischen Zügen an.

Ende 2009 - Anfang 2011 kam es dann erneut zu mehreren kürzeren depressiven Einbrüchen. 2011 und 2012 waren dann wieder relativ stabile Jahre.
Im Sommer 2013 kam es dann zu einem erneuten Einbruch (mögl. Auslöser: „schwierige“ Personalsituation im Betrieb; Nachbarschaftsstreit), von dem ich mich erst im Herbst langsam erholte.
Mitte April 2014 rutschte ich dann erneut in eine Depression, die bis in den Spätsommer anhielt.
In Abstimmung mit meinem Psychiater versuchten wir zunächst, zusätzlich zum Lithium, Venlafaxin. Dies hatte ich auch 2013 genommen, doch diesmal schien ich es nicht zu vertragen (Unruhe/Panik, Schlafstörungen).
Wir stellten auf Valdoxan um. In der Vergangenheit habe ich schon sehr viele Antidepressiva „ausprobiert“ (nat. immer in Absprache mit dem behandelnden Arzt):

Aponal (Doxepin), Saroten (Amitryptilin), Anafranil (Clomipramin), Noveril (Dibenzepin), Fluctin (Fluoxetin), Aurorix (Moclobemid), Remergil (Mirtazapin), Ludiomil (Maprotilin), Ednorax (Reboxetin) – Horror!, Citalopram, Venlafaxin, Valdoxan…und das sind noch nicht alle.
Ihr seht: nach meinem Ableben muss ich als Sondermüll entsorgt werden ;-)

Seit 2-3 Jahren scheint sich meine Erkrankung zu wandeln: Die Phasenlängen werden kürzer und häufiger.
Seit Jahresanfang erlebe ich alle 4-6 Wochen heftige „Kurzabstürze“ (4-6 Tage). Ab Jahresmitte kommt es zur weiteren „Verdichtung“: alle 2 Wochen Kurzabstürze (4-6 Tage). Ich befinde mich im „rapid cycling“ bzw. „ultra rapid cycling“.

Im September habe ich eine „Ketaminkur“ versucht: innerhalb von 2 Wochen 6 Ketamininfusionen (40-70 mg). War eine irre Erfahrung! Das mögliche Problem war: es ging mir in dieser Zeit gut. Eine weitere Ketamininfusion folgte während eines Kurzabsturzes…diese hat mich tatsächlich da rausgeholt, leider nicht nachhaltig.

Seit einiger Zeit bin auf eine Medikation (Phasenprophylaxe, „Moodstabilizer“) von Lithium (Quilonum ret., schon seit 10 Jahren) und Lamotrigin (seit 4-5? Jahren) eingestellt. Seit 6 Wochen nehme ich zusätzlich Tianeurax (Tianeptin). Ich hatte große Hoffnungen in dieses „exotische“ Antidepressiva gesetzt, aber seit Einnahme 2 Kurzabstürze durchlebt.
Kürzlich ließ ich den ABCB1-Gentest (entwickelt von Prof. Dr. Florian Holsboer, MPI München) bei mir machen, der die Durchlässigkeit für Antidepressiva's der Blut-Hirn-Schranke misst.
Mein Ergebnis: erleichterte Durchlässigkeit und es wurden die üblichen Antidepressiva's (SSRI, SNRI, TZA) empfohlen...

Tja, wenn ich das so schreibe und wieder lese, denke ich: Oh mein Gott, was habe ich nicht schon alles versucht, ertragen, gelitten, gekämpft, gehofft…
Aber es ist ja auch eine Aufzählung der Krisen, der dunklen Wolken, der Tränen, der Verzweiflung, der tiefen Löcher, der Schatten, der Abgründe…
Dazwischen gab es auch viel Licht, Lachen, Freude, einfach nur Leben…und objektiv betrachtet eindeutig der überwiegende Teil.
So hat wohl jeder SEIN „Päckchen“ (oder „Paket“) zu tragen und es ist die Aufgabe, es anzunehmen, mit ihm zu leben, es zu integrieren und vielleicht es zu umarmen und zu überwinden…

Ganz liebe Grüße,

Tyche03
01.01.2018 14:09 •
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Edelle
Hallo, Tyche,

Dein letzter Satz hat mich angesprochen, und ja, ich glaube, dass es so ist. Dann entsteht auch die Chance, die Depressionen hinter sich zu lassen.

Liebe Grüße,
Edelle
02.01.2018 19:52 •

A
Hallo Tyche03,

Medikamente und Therapie helfen nicht - was jetzt?
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T
Hallo Edelle,

ich glaube auch, dass es so ist. Aber es hat sehr lange gedauert bis ich so einen Satz auch nur im Ansatz entdecken, formulieren und teilweise fühlen konnte. Und wenn die Bestie mich wieder mal angefallen und mich im Würgegriff hat, erscheint dieser Satz fast wie Hohn, ist unendlich weit weg und alles ist wieder in Frage gestellt. Diese Erkrankung muss direkt der Hölle entspringen...aber sie wird mich nicht besiegen!

Liebe Grüße, Tyche03
02.01.2018 22:29 •

Import
Edelle:

Hallo Tyche,

finde gerade Deine Antwort an mich, danke.

Es war auch bei mir so, wie Du schriebst: Es dauerte viele Jahre und dauert noch an, das Leben anders und nicht grundsätzlich eher negativ zu betrachten. Jetzt habe ich für mich aber ein paar Methoden entdeckt, wie es ganz gut klappt, nicht immer - aber immer öfter.

Zu den Methoden: Ich habe leider die Erfahrung gemacht, dass man beim Vorschlagen der eigenen guten Erfahrungen als Anregung, aus dem schwarzen Loch herauszukommen, eher auf Widerstand stößt - was ich auch nachvollziehen kann, denn solange man drinsitzt, kann es einem, wie Du treffend schreibst, wie Hohn erscheinen.

Ich halte mich daher mit Empfehlungen, was das angeht, bewussst zurück. Wo der Schalter sitzt, wieso es auf einmal aufwärts geht, ist nicht leicht zu sagen, selbst nicht von dem, der es erlebt hat.

Liebe Grüße,
Edelle
26.02.2018 14:38 •

A

Medikamente helfen nicht, geht es wem ähnlich?

Hallo,

ich habe schon vier verschiedene Medikamente ausprobiert. Keines hilft. Hat jemand ähnliche Erfahrungen?

Liebe Grüße
Agnes
19.10.2020 20:07 •

bones
Wie darf man das genau verstehen, das die medis nicht helfen? Inwiefern helfen sie nicht?
19.10.2020 20:31 •

A
Sie sollten antriebssteigernd sein, sind sie bei mir aber nicht. Ich liege nur herum.
19.10.2020 20:53 •

Kate
Zitat von Agnes94:Sie sollten antriebssteigernd sein, sind sie bei mir aber nicht. Ich liege nur herum.

Hallo Agnes, da kommt dann die Tagesstruktur ins Spiel. Ein Medikament alleine scheucht dich leider nicht aus dem Bett. Ein aufgestellter Plan aber kann es
Anfangs gehört da wohl oder übel ein kleiner Zwang dazu. Aber sobald die Routine da ist, fällt tatsächlich vieles leichter.
Den ersten Schritt musst Du dazu nur überwinden.

Ich musste in der TK Frühsport machen...ich hatte es damals kaum aus dem Bett geschafft. Ich muss leider zugeben, der Plan ging nach 10 Wochen auf. Am Ende war das wie ein Selbstläufer.

LG Kate
19.10.2020 20:59 •
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Lost111
@ Agnes94

Wie lange nimmst du die Medis denn schon? Antidepressiva's brauchen oft einige Zeit, bis sie wirken.
19.10.2020 21:00 •

A
Schon sechs Wochen
19.10.2020 21:51 •

Lost111
Dann solltest du mit deinem Arzt darüber reden.
19.10.2020 21:52 •

A
Werde ich machen.
19.10.2020 22:23 •

bones
Welch Medikamente haste denn schon probiert? Was ist deine aktuelle medi?

Wie Kate schon prima geschrieben hat, kann ich nur zustimmen. Natürlich kann ich dein Problem sehr gut nachvollziehen. Ich kenne das Problem selber. Versuch ein tagesstruktur Schritt für Schritt einzubauen.
19.10.2020 22:54 •
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buddl1
Wunderpillen gibt es nicht....
sie sollten ehr deine trüben Gedanken unterdrücken,
Platz schaffen sich anderen Dingen zuwenden zu können...

ich versuch mal zu erklären:
bei solchen egal -Tabletten, wie bei vorhandener Flugangst wird einem die Angst vor dem Fulg genommen,
was ohne diesen kaum für einige möglich wäre...
diese gibt es auch gegen die Reiseangst, im Auto oder Bahn, usw.

aber eins haben sie alle gemeinsam:
einsteigen musst du!

du musst also aufstehen, etwas beginnen, erkennen das dass was du tust
sinnvoll oder zumindest notwendig ist und danach das auch als Erfolg wahrnehmen kannst.
keine Tablette kann das übernehmen,
dich begleiten aber schon...
buddl1,
20.10.2020 07:05 •
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A
Hallo Tyche03,

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B
Pharmakologisch betrachtet gibt es zwei Ursachen für Nichtwirksamkeit: 1.Die Substanzen passieren nicht die Blut-Hirnschranke,
2 Die Rezeptoren haben ihre Sensibilität für die Transmitter verloren und reagieren nicht mehr.
Bei mir waren sämtliche Antidepressivas (Glückspillen) wirkungslos Nach sieben Jahren habe ich sie an die Wand geschmissen. Zurück bleiben wir Alten und Chronische. Wen kümmert's?
29.10.2020 23:23 •
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