Wie die Probleme aus der Kindheit verarbeiten?

V
Ich weiß gar nicht wie ich so was anfangen soll...
Ich habe bisher mit niemandem über meine depressiven Phasen geredet, ist mein erstes mal, bitte habt Verständnis.

Ich bin heute wieder nach langer Zeit in ein tiefes Loch gestürzt. Den ganzen Tag fühle ich mich beschissen und heule und kann noch nicht einmal genau sagen warum.
Ich habe das Gefühl, dass sich niemand für mich interessiert, das wenn ich meine Sorgen jemandem mitteilen würde ich nur als aufmerksamkeitssüchtig abgestempelt werden würde. Zu meinen Eltern kann ich auch nicht gehen, da sie immer die Schuld bei mir suchen oder ihre eigenen Ansichten in meine Probleme hinein interpretieren.
Ich habe das Gefühl so allein mit meinen Problemen zu sein, ich will andererseits aber niemanden meiner wenigen Freunde diese Bürde meiner Depression auferlegen.
Beim Zusammensein kann ich schlechte Gefühle leicht überspielen, aber das lässt sie auch nicht verschwinden.
Ich sehe diesen Post als eine Art Outing an, in der Hoffnung meiner Situation ein bisschen klarer zu werden.

Ich denke ich fange von ganz am Anfang an, meiner Kindheit.

Rein äußerlich betrachtet bin ich in einem guten Haushalt aufgewachsen, guter Mittelstand, 2 Geschwister, guter Bildungsstand der Eltern.
Was niemand, mich selbst eingeschlossen, wusste, ist, dass meine Mutter eine zutiefst unglückliche Person war. Sie war immer gestresst, lies diesen Stress an uns aus,
wenn sie von der Arbeit kam bezeichnete sie das Aufwärmen eines Fertiggerichtes als Kochen, sobald sich nur der Anschein eines Konfliktes anbahnte, und sei es nur Reibereien unter den Geschwistern, machte sie diese Probleme zu ihren eigenen, und verhielt sich dann im Konflikt so, als wäre sie das Opfer. Ich bin mir nicht sicher ob ich mich verständlich ausdrücke, ich werde versuchen dies an einem Beispiel festzumachen: Wenn das Ausräumen der Spülmaschine anstand, und wir unter uns Kindern darum stritten, wer den nun die Pflicht übernehmen müsse, mischte sich meine Mutter ein und schrie uns unter Tränen an, was wir den stritten, immerhin muss Sie den Haushalt machen, wir wüssten gar nicht was für eine Arbeit das wäre etc. . Wenn ich aus der Schule kam, und ihr Berichtete das meine Klassenkameraden mich ärgern, so entgegnete Sie mir das ich doch selbst Schuld daran sei,dass ich mich doch ärgern ließe und sie mich entnervt spüren lies, dass sie jetzt davon auch schlechte Laune bekam.
Ich hoffe die Situation ist klar, jeder Form von Konflikten meinerseits wurde somit vermieden, ein Umstand unter dem ich heute noch leide, da ich eine innere Blockade verspüre meine seelischen Probleme anzusprechen.

Dazu kommt noch, dass meine Mutter mir immer das Gefühl gab, minderwertig zu sein. Das fing bei solch banalen Dingen wie einem Kindergeburtstag an. Während bei anderen Geburtstagsfeiern immer das Geburtstagskind das erste Stück vom Kuchen bekam, bekam ich immer bei meinen Feten das letzte Stück. Ich will nicht sagen, dass mich dieser Umstand deprimiert, aber ich denke es verbildlicht, welchen Stellenwert ich einnahm.
Wesentlich verehrender ist der Umstand, dass ich mit jungen Jahren auf dem Schoß meiner Mutter beim Kaffeeklatsch mitanhören musste, wie faul ich doch in der Grundschule sei, und das die Mädchen doch so viel besser seien, und intelligenter wären. Auch dieser Umstand könnte ich verkraften, aber die Art wie dreist es formuliert wurde, während ich auf dem Schoß saß und alles mitanhören musste macht mir zu schaffen.

Das schlimmste waren jedoch die Schläge die ich erleiden musste, sollte ich eine Matheaufgabe nicht lösen können. Während am Anfang der Aufgabe noch geduldig gewartet wurde, wurde mit zunehmender Anzahl falscher Lösungen die Hand ausgefahren, an ganz schlimmen Tagen schlug sie mich auch schon, wenn ich zu lange überlegte.
Das ganze wurde mit der Aussage garniert, dass ich doch, wenn ich so weitermachen würde, auf die Hauptschule käme. Ich habe heute noch Probleme mit dem Körperkontakt mit anderen Menschen, ich weiß nicht ob das auf diesen Umstand zurückzuführen ist...

Weder lesen noch Zähneputzen wurde mir nahegelegt, vorallem bei den Zähnen leide ich heute unter einer sehr hässlichen, ungepflegten Kauleiste.
Der Haushalt war auch unter aller Sau, überall lag Krempel, das Haus sieht heute auch noch aus wie eine RTL2 Klischee Assibude.
Das Problem wurde zusätzlich von der Kaufsucht meiner Mutter verstärkt.

Man könnte sich jetzt natürlich Fragen, welche Rolle mein Vater gespielt hat, der war immer bis Nachmittags Arbeiten, und war an sich eigentlich auch ein Lebensfroher Mensch, doch ich denke meine Mutter hat ihn kaputtgemacht. Früher hatten wir noch viel Kontakt zur bei uns im Dorf angesiedelten Verwandtschaft und Familienfreunden,
heute trifft man sich wenn überhaupt nur noch mit der Famillie mütterlicherseits.

Trotz der schlechten Umstände schaffte ich es, in der Grundschule einen guten Freundeskreis aufzubauen und auch die Zulassung fürs Gymnasium zu erlangen.
Die Jahre der Grundschulzeit kann ich trotz einiger Hürden als eine schöne Zeit abstempeln, doch jede schöne Zeit findet auch ihr jähes Ende....

Während ALLE meiner Freunde und Klassenkameraden mit Gymnasialempfehlung auf das neue, nahegelegene Gymnasium im Nachbarort kamen, war ich der einzige der in ein altes Gymnasium, auf dem meine Geschwister auch waren, 2 Ortschaften weiter gehen musste, einzig und allein auf Initiative meiner Mutter wohlgemerkt...
Ich weiß bis heute nicht wieso ich auf diese Schule gehen musste, zumal sie sowohl von der Ausstattung als auch Lehrer und Schulklima Welten schlechter war als die Alternative, die alle meine Freunde genießen durften...
Ich habe versucht, die Schulwahl meiner Eltern zu kritisieren, doch in ihren Augen war die Schule einwandfrei und die Wahl absolut richtig.

Diese Schule war der Horror für mich, Mobbing stand an der Tagesordnung, ich hatte bereits in der 7.Klasse einen Schulverweis, ich kam nicht mehr klar.
Ich will die Einzelheiten umschiffen, zumal ich einen Großteil sowieso verdrängt habe. Lasst mich jedoch das Klima zu der Zeit beschreiben:
Man steht auf und ist immer wieder vom Konflikt geplagt, zwischen Druck in der Schule und druck der Eltern, gehe ich heute hin oder nicht? Sollte ich dem Druck der Eltern nachgegeben haben, begann ein langer Schulweg mit Bus und Bahn der sich auf ganze 45 min streckte, im Winter eine Qual den ganzen Fußweg zu laufen. Bist du erstmal in der Schule wirst du wieder von allen gemobbt, doch hast du dir erstmal ein dickes Fell antrainiert, dich selbst so abgerichtet dass du keine Emotionen mehr zeigst, sodass du dem Peiniger nicht die Befriedigung einer Reaktion gibst, ärgern die Mobber deine Geschwister, die natürlich ihren Unmut an dir auslassen. Dieser Umstand hat auch dazu geführt, dass das Mobbing zuhause weiterging. In Anbetracht dessen ist es ein Wunder, dass ich einen 3.0 Schnitt im Zeugnis halten konnte.
Die Lehrer hat natürlich nichts interessiert, die waren eher darauf bedacht überhaupt irgendetwas den Schülern beizubringen, die sogenannten Vertrauenslehrer waren meist Selbstdarsteller denen es wichtiger war, welche Figur sie in ihrer sozialen Rolle machten, sie betrachteten ihren Stellenwert mit Wohlgefallen, waren jedoch an einer langfristigen Lösung nicht interessiert. Vom Rektor will ich gar nicht erst anfangen...

Das schlimmste war an der damaligen Zeit aber, dass das Arbeitsverhältnis meiner Mutter prekär wurde, ihre Stelle stand auf der Kippe, die Umstrukturierung in der Firma erhöhte den Druck sowohl unter den Mitarbeitern, als auch vor allem den bei uns Zuhause. Es verging keine Woche, an dem du nicht mind. an 2 Tagen deine Mutter lautstark weinen hören konntest, was nur unterbrochen wurde, wenn sie in ihrem Unmut uns plötzlich mitteilte, dass wir doch morgen selber zu kochen haben und sie nicht nach hause kommen wird.

Die ganze Zeit setzt mir schwer zu, ich habe immer noch mit den Folgen zu kämpfen.

Doch zur 10. Klasse kam ein kleiner Hoffnungsschimmer, plötzlich durfte ich auf die Schule, auf denen meine ganzen alten Freunde waren. Ab da besserte sich das Leben, ich hatte endlich keine Angst mehr in die Schule zu gehen, hatte keine Angst mehr alleine durch die Pause gehen zu müssen, hatte keinen Grund mehr mich deshalb im Klo über die Pause einschließen zu müssen. Es war eine Erleichterung.
Doch leider machen mir die Prägungen, die ich in den Vorjahren auf mein Kerbholz bekam, es schwierig, neue Freunde zu finden. Auch heute noch kann ich nur schwierig soziale Kontakte knüpfen, ich habe einen sehr spezielle Art von Humor, weiß auf Komplimente oder Witze nicht richtig zu reagieren, kann mich Menschen nicht so gut anbahnen. Ich werde noch heute oft als kalt und arrogant bezeichnet, was ich sehr schade finde, da ich ein sehr gutherziger und netter Mensch sein kann, sofern es mir die soziale Unsicherheit zulässt.

Ich bin jetzt schon seid 3 Jahren aus der Schule, aber ich fühle mich seitdem immer wieder alleine, alle anderen machen krasse Dinge, gehen steil die Karriereleiter hoch, bereisen das Ausland und ich sitz einfach so rum und studiere vor mich hin ... jedesmal fühle ich mich Minderwertig.

In letzter Zeit fühle ich mich vermehrt alleine, was auch daran liegt, dass ich die oben genannten negativen Charaktereinschätzungen ( kalt, arrogant ) öfters zu hören bekomme, ich kann es den Menschen nicht verübeln, dass sie so denken, aber es macht mich traurig, dass ich so unfähig bin, meine Neurosen zu überkommen...
Des neueren leide ich auch unter dem Umstand, dass ich denke jeder hasst mich oder kann mich nicht ausstehen, allein dieser Charakterknick bereitet mir in der Öffentlichkeit Unbehagen.

Wie man lesen kann habe ich sehr viel auf dem Kerbholz, noch ein kleiner Ausschnitt aber ich denke man kann das große Ganze dahinter erkennen. Alles was ich will ist verstanden zu werden, leider ist die Selbsterklärung nicht mit ein bis zwei Sätzen getan. Ich hatte nie das Gefühl, vollkommen verstanden zu werden, ich hoffe jemand kann nachvollziehen was ich durchmache, meine Ängste und Sorgen verstehen.

Falls du bis hierhin durchgehalten hast danke ich dir von ganzem Herzen für deine Empathie. Auch wenn du mich nicht verstehst hast du zumindest zugehört und das bedeutet mir schon sehr viel...

Ich hoffe ich finde den Mut und die Kraft, dieses Outing in die echte Welt zu tragen...
Bis dahin, in Hoffnung auf eine bessere Zeit,
Vince

25.09.2016 21:49 • #1


G
Puh, ich kann dich gut verstehen. Warum du niemandem deine Bürde tragen lassen willst. Ich bin grade in einer ähnlichen Situation. Bin den ganzen Tag grundlos traurig, bekomme Panikattacken etc. worauf ich hinaus will ist, deine Freunde wird deine Krankheit nicht belasten. Ich habe mich auch lange nicht getraut mit anderen darüber zu reden. Grade nicht mit meinen Freunden, und seit dem ich es getan habe stehen die Freunde von denen ich dachte das es die ersten seien die mich hängen lassen, hinter mir. Reden mit mir über alles und versuchen zu helfen wo es nur geht. Zusätzlich habe ich mir auf eigenen Wunsch Ärztliche Hilfe gesucht was ich dir auch nahe legen würde.

MfG

Gumble

02.10.2016 16:32 • #2

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