Ich bin Jahrgang 1961, und als ich Ende der 1970er-Jahre den Schulabschluss in der Tasche hatte, war Traum-Beruf was für Träumer. Die geburtenstarken Jahrgänge drängten auf den Ausbildungsmarkt und es gab viel zu wenig Stellen für viel zu viele Bewerber. Die meisten jungen Leute fasten deshalb unterschiedliche Berufe ins Auge und nahmen dann einfach den, in dem sie einen Ausbildungsplatz bekamen. Viele gingen aber auch erstmal weiter zu einer Berufsfachschule, weil sie (trotz guter Abschlussnoten!) keine Lehrstelle fanden und die Zeit irgendwie überbrücken mussten.
Auch die Auswahl an Berufen war beschränkt, zumindest hier auf dem Land.
Die Mädchen wurden Verkäuferin, Friseurin oder Bürogehilfin. Wenn die Noten gut waren auch schon mal Krankenschwester oder Arzthelferin. Aber für all diese Berufe reichte ein Hauptschulabschluss; der war damals noch etwas wert.
Die Jungs machten was handwerkliches. Elektriker, Schreiner, Schlosser, KFZ-Mechaniker...
Abitur und Studium waren die Ausnahme. Das kam meistens nur für die Kinder der höheren Bildungsschicht in Frage, also für Kinder von Lehrern, Ärzten usw.
Oft hatten die Eltern das letzte Wort bei der Berufswahl. Es lief viel über Beziehungen. Man ging in den Betrieb, in dem auch der Vater schon arbeitete. Oder die Eltern kannten einen, der einen kannte, wo noch ein Lehrling gesucht wurde.
Für Mädchen wurde eine Ausbildung auch noch nicht als so wichtig angesehen. Die heirateten ja ohnehin meistens schnell und blieben dann wegen der Kinder zuhause. So hatte ich z.B. eine Schulfreundin, deren Vater nach ihrem Schulabschluss entschied, dass sie künftig in einem Gasthaus als Küchenhilfe arbeiten würde. Widerspruch? Gab es nur selten.
Andere Zeiten eben.
Ich selbst hätte gerne einen technischen Beruf erlernt. Damals war KFZ-Mechanikerin mein Traum.
Aber Frauen in Männerberufen war damals noch nicht wirklich ein Thema bzw. so gerade erst im Kommen.
Ich erinnere mich noch gut an die Diskussionen über getrennte Wasch- und Toilettenräume.
Bei meinen Eltern fand ich weder Verständnis noch Unterstützung.
So bin ich dann zunächst dem Weg meiner älteren Schwester gefolgt und habe eine Ausbildung zur Erzieherin begonnen. Das ging natürlich voll in die Hose. Hab's dann später noch mit Floristin versucht und auch mit Bürokauffrau.
Aber das war alles nicht so Meins.
Zu dieser Zeit begannen meine Depressionen.
Die berufliche Perspektivlosigkeit spielte sicher eine Rolle, ursächlich war sie aber wohl nicht.
Allerdings wusste man damals noch nicht viel über Depressionen; es gab sie quasi nicht. Entweder war man faul und bekam nichts auf die Reihe oder man hatte was am Kopf.
Ich selbst wusste damals also auch nicht, dass es eine Depression war und wurschtelte mich irgendwie so durch.
Zähne zusammenbeißen... durchhalten... durchhalten...
Ich habe dann früh geheiratet, zwei Kinder bekommen und nebenbei in einem jungen Unternehmen gejobbt (Start-up, würde man dazu heute sagen). Damit ging es mir gut; auch psychisch.
Dieses Unternehmen entwickelte sich rasant, wurde mit den Jahren immer größer und meine Aufgaben dadurch immer vielfältiger. Nach zwei Jahren hatte ich bereits eine Teilzeitstelle.
Dann kam die Scheidung und ich stürzte mich regelrecht in die Arbeit. Schnell wurde mir die Leitung der Abteilung angeboten. Ich griff zu.
Berufliche und private Belastungen förderten meine Depression.
Das ging schleichend, so ganz allmählich über Jahre, dass es mir zunehmend schlechter ging.
Mit Anfang 30 bin ich dann das erste Mal in Therapie gegangen, habe diverse Kuren hinter mich gebracht, weitere Therapien, und doch bestand mein Leben irgendwann nur noch aus Arbeit und Schlafen.
Ende 2020, nach 35 Jahren im selben Unternehmen, hat's mich dann endgültig geschmissen.
Seitdem bin ich arbeitsunfähig und seit Neuestem EM-Rentnerin.
Allerdings jobbe ich seit letztem Jahr im Archiv eines kleinen Vereins. Gestartet bin ich als Ehrenamtlerin, einfach damit ich mal rauskomme aus meiner Depri-Bude hier. Aber die Arbeit macht mir soviel Spaß, dass daraus mittlerweile ein kleiner Mini-Job geworden.
Und sollte es mir irgendwann keinen Spaß mehr machen, so lasse ich es einfach sein.
Tja, liebe @ElfenWeide, vielleicht kannst du mit den Geschichten aus früheren Zeiten jetzt gar nicht so viel anfangen.
Heute ist ja vieles ganz anders.
Zitat von ElfenWeide: Arbeitet ihr, studiert ihr, macht ihr eine Ausbildung? Was/Welche? Wie gefällt es euch? Könnt ihr euch vorstellen, nochmal etwas anderes zu lernen?
Wie ist das denn bei dir?
Manches ist wohlmöglich heute leichter als früher, aber so einiges eben auch nicht.
Sich entscheiden zu müssen aus der Vielzahl an Möglichkeiten... die Unsicherheit, ob man bei steigenden Mieten, Energiekosten, Lebenshaltung, von dem gewählten Beruf überhaupt leben kann... die Diskussionen über Rente und Lebensarbeitszeit... Über sowas hat sich unsere Generation in jungen Jahren ja noch gar keine Gedanken machen müssen.
Magst du mal erzählen, wie es dir mit all dem geht?
Liebe Grüße
Greta