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Von "Alles is toll" zu "Ich brauche Hilfe" in 12 Wochen

P
Hallo Zusammen,

ich schreibe diesen Text einfach weil ich loswerden muss und möchte, was mir widerfahren ist und ich hoffe, dass das Niederschreiben etwas hilft. Zudem denke ich noch immer, dass ich total übertreibe, aber glücklicherweise habe ich morgen mein Erstgespräch bei einem Psychologen.

Kurz zu mir, ich bin 28, habe bzw. hatte einen ziemlich sicheren Job und habe für diesen vor 4 Jahren meine Heimat verlassen. Ich hatte für ein Projekt ein Jobangebot bekommen, welches sehr lukrativ war. Es war ein großes Projekt, viele tolle Menschen waren involviert und es hatte alles seine Höhen und Tiefen, doch ich habe diesen Job geliebt. Es war einfach alles gut. Ich habe mir eine schöne Wohnung geholt, gut gelebt und einige wenige, aber treue, Freunde gefunden.

Im Februar wurde jedoch alles anders. Wir, knapp 200 Menschen, wurde zu einem Meeting mit dem Vorstand gerufen. Das Projekt wurde beendet, per sofort. Die Stellen wurde gestrichen. Ich habe zwar einen unbefristeten Vertrag, ich bin also theoretisch sicher, aber 4 Jahre Arbeit waren umsonst. Es fühlte sich wie ein enormer Ar. an, Wertschätzung war nicht vorhanden, das hat mich wirklich sehr getroffen. Ich habe darauf hin sofort zwei Tage Urlaub genommen.

Während dieser zwei Tage hat mich ein Freund aufgenommen. Wir kennen uns seit etwas 3,5 Jahre, sind beide gleichgeschlechtlich, verstehen uns sehr gut. Er ist etwa 6,5 Jahre jünger als ich, aber das war nie ein Problem. Wir hatten in all der Zeit sporadischen, aber sehr vertrauten Kontakt und über unsere Probleme und alles geschrieben. Ich war also bei ihm, alles war toll, er hat mich abgelenkt und wir hatten soweit eine gute Zeit. Am Abend ging es mir etwas schlechter, ich wollte in den Arm genommen werden und so bot er es an. Wir lagen gemeinsam im Bett, ich kam zu ihm und dann passierte etwas, was ich nicht erwartet hätte. Es machte Klick. Seine Wärme, die Geborgenheit und sein Geruch wirkten so unglaublich anziehend. Noch nie wirkte ein Mensch auf mich, ich war damit sehr überfordert.

Auf Arbeit war seitdem nicht viel zu tun. Wir sollten all unsere Daten sichern, E-Mail Postfächer aufräumen oder einfach nichts tun. Wir hatten schlicht nichts mehr zu tun. Der Freund war seitdem oft für mich da, wir hatten täglich Kontakt, haben uns jede Woche gesehen und viel Zeit miteinander verbracht. Nach wenigen Wochen teilte ich ihm mit, dass ich mich verliebt habe, war sehr offen und sehr ehrlich. Er, seit Dezember frisch getrennt, zeigte viel Verständnis und teilte mir mit, dass er diese Gefühle derzeit nicht erwidern kann. Er schließt eine Beziehung nicht aus, aber derzeit geht es halt nicht. Das war okay für mich, ich verstand es. Dachte ich.

Auf Arbeit spitze sich die Lage weiter zu, man hatte kein Plan was man mit uns tun soll und so kam das Gefühl der Nutzlosigkeit auf. Zudem ging es dann mit dem Coronavirus los, es hieß also HomeOffice. Seitdem war ich allein, durch die Kontaktbeschränkungen konnte ich keine Freunde mehr besuchen. Der Freund und ich jedoch, wir sahen uns trotzdem. Er war immer für mich da, spielte aber auch immer mit offenen Karten. Es war alles sehr freundschaftlich, doch immer wenn ich es gebraucht habe hat er mich in den Arm genommen. Es war unfassbar. Schon aus zwei Metern Entfernung roch ich ihn und war hin und weg. Wenn ich in seinem Armen lag war immer alles gut, es war wundervoll.

Die Isolation kam, ich war allein und liebte ihn. Die Gefühle wurden jedoch nicht erwidert, ich war verzweifelt, wusste nicht mehr weiter. Aus diesen Gründen habe ich dann sch. gebaut. Ich habe auf einer Online-Plattform auf welcher er auch war einen Fake Account erstellt, ihn angeschrieben, Kontakt aufgebaut und über Tage hinweg sehr viel mit ihm geschrieben. Er erzählte sogar, dass es mich gibt. Dass ich in ihn verliebt bin, dass ich garnicht so schlecht bin, nur halt etwas alt und er die Gefühle nicht so richtig erwidern kann. Er wollte die Freundschaft einfach nicht verlieren, denn wir hatten eine wirklich gute Beziehung. Ich schrieb weiter mit ihm und kam mit Sprüchen ala Vielleicht musst du es mal versuchen, Gib dir einen Ruck etc. Am Wochenende war er dann wieder bei mir, ich war zu diesem Zeitpunkt schon in Kurzarbeit. Sprich keinerlei Arbeit mehr, nichts zu tun, weniger Geld. Ich hielt es nicht mehr aus und beichtete, was da abläuft und das ich das war. Er war sehr enttäuscht aber er zeigte Verständnis. Er merkte wie verzweifelt ich bin, betonte dass er immer ehrlich zu mir war und ist und meinte, dass unsere Freundschaft nichts kaputt machen wird, das Thema Beziehung aber nun gelaufen ist.

Mit dieser Reaktion hatte ich jedoch ein großes Problem, sie war mir zu mild. Wir hatten ab da an etwa 1,5 Wochen keinen Kontakt mehr und das hat mich sehr belastet. Ich war ja so schon allein und hatte niemanden mehr gesehen und er war noch der einzige regelmäßige Kontakt. Das ganze spitze sich leider so zu, dass ich der Meinung war mich selbst bestrafen zu müssen. Selbstmord war durchaus eine Option. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt auch schon Texte vorformuliert. An ihn, an Freunde, an meine Familie. Ich packte es natürlich nicht, er hätte sich nur die Schuld gegeben und das konnte ich mit mir nicht vereinbaren. Ich merkte, wie diese Perspektivlosigkeit auf Arbeit, die Kurzarbeit, die Isolation und die nicht erwiderte Liebe mich weiter kaputt machten. Es gab Tage, da konnte ich nichts mehr essen. An anderen aß ich sehr viel. Ich konnte mich für mein Fernstudium nicht mehr motivieren, verließ tagelang nicht mehr die Wohnung.

Er und noch ein anderer Freund meldeten sich jeden Tag bei mir. Sie selbst hatten auch untereinander Kontakt. Sie merkten, dass es mir schlecht ging. Trotz allem bin ich etwas eskaliert, habe ihnen vorgeworfen keine wahren Freunde zu sein, ich interessiere sie nicht, ich habe auf keinen mehr Lust, ich schaffe das nicht mehr und habe nur noch geschrieben Tschüß und das Handy ausgemacht. Meine beiden Freunden tauschten sich aus, sie waren relativ schnell bei mir. Dabei kommt einer von ihnen aus einer 80km entfernten Stadt und fuhr über eine Stunde mit dem Auto. Sie waren da für mich, das war toll.

Mein allgemeiner Zustand wurde aber nicht besser. Motivation für irgendwas war nicht mehr vorhanden, ich leide seitdem unter enormen Gefühlsschwankungen, Kleinigkeiten triggern mich und ich heule stundenlang und danach ist alles wieder okay. Es belastet mich sehr. Ich weiß nicht mehr wie es weiter geht, wann ich wieder arbeiten gehen kann und vor allem was ich dann machen soll. Ich habe hier wenige Freunde, aber gute. Kann kaum verreisen, da ich zur Risikogruppe gehöre (Chronische Atemswegerkrankung). Meine Freunde halten trotz allem zu mir, aber sagen inzwischen auch, dass sie überfordert sind. Als ich diese Woche auch erzählte wie es wirklich aussieht, dass ich mich umbringen wollte, mir den Plan und alles schon zurecht gelegt habe, wussten sie nicht mehr weiter und haben mit mir zusammen einen Termin beim Psychologen organisiert. Dieser ist morgen.

Seit Februar also kam immer mehr dazu. Arbeit weg, Kurzarbeit, Isolation, Sehnsucht, nicht erwiderte Liebe. Es klingt alles so banal, ich war früher immer ein sehr starker, lebensfroher und spontaner Mensch. Aber davon ist nichts mehr übrig. Meine Freunde erkennen mich nicht mehr wieder. Ich selbst habe Depressionen immer runter geredet, nach dem Motto die Menschen können mit dem Stress doch nur nicht umgehen. Jetzt habe ich den Eindruck mitten drin zu sein. Ich fühle mich fremdgesteuert, kann mich gegen Gefühlsschwankungen und Verzweiflungstaten nicht wehren. Sitze in der Bahn oder laufe im Park und breche in Tränen aus, ich fühle mich schwach, allein, hilflos. Ich weiß nicht, ob oder wie mir eine Therapie helfen soll. Ich habe Angst tatsächlich die Diagnose schwere Depression zu bekommen. Ich weiß nämlich nicht, was dann passiert

Sorry für den langen Text, es musste einfach mal raus. Und auch wenn er so lang ist, das ist nur das Wichtigste. Da fehlt sicherlich noch sehr viel aus den vergangenen Wochen.

Danke euch fürs durchlesen.

14.05.2020 13:54 • x 2 #1


Pilsum
Hallo PSTR,

willkommen hier im Forum.

Es tut mir leid, dass sich Deine berufliche Situation kurzfristig so extrem verändert hat.
Da wundert es mich nicht, wenn es Dir nun erst einmal ziemlich schlecht geht.
Bestimmt wird das aber nicht dauerhaft sein.

Wenn ich Deine Beschreibung lese, habe ich den Eindruck, Du suchst nun Deine
Lebensgrundlage auf der Du jetzt stehst. Jahrelang war das wohl fast nur Deine Arbeit.
Nun ist es wichtig, Dich in Deinem Leben neu zu orientieren. Anfangs erscheint das
sehr, sehr schwer. Dies wirst Du aber schaffen. Etwas Geduld und einiges an Zeit wird das
erfordern.
Zitat:
Ich weiß nicht, ob oder wie mir eine Therapie helfen soll. Ich habe Angst tatsächlich die Diagnose
schwere Depression zu bekommen. Ich weiß nämlich nicht, was dann passiert


Eine Therapie kann Dir hoffentlich schnell ein gutes Feedback geben. Dies sollte Dir zeigen,
dass Deine Situation gar nicht so schlimm ist, wie Du sie aktuell empfindest.
Weiterhin sollten Dir gute, ehrliche und fair geführte Feedback-Gespräche zeigen, wo
Deine Stärken liegen und Dir somit wieder neue Energie bringen.

Über die Diagnose Depression schreibst Du, als wenn das eine schlimme Krankheit ist,
vor der Du erschrickst. Das muss nicht so sein. Wie ich zuvor erwähnt habe, ist eine
Depression oft eine mehr oder weniger belastende Phase der Selbstfindung.
Und diese Selbstfindung kannst Du in einer Therapie erreichen, wenn Du offen und ehrlich
mit Dir umgehst.

Dir wünsche ich, dass Du Deine seelische Basis schnell wiederfindest.

Gute Besserung

Bernhard

15.05.2020 09:20 • x 1 #2


P
Vielen Dank Bernhard für die warmen Worte.

Das Gespräch ist in etwa einer Stunde und ich habe tatsächlich Angst davor. Ich habe glaube nicht Angst davor zu hören, dass es mir schlecht geht und eine Krankheit mitunter der Auslöser ist, ich habe eher Angst vor der Zukunft.
Wie gehen Freunde damit um, was mache ich, wenn es mit der Arbeit wieder los geht? Kann ich überhaupt arbeiten oder sitzt dieser Vertrauensverlust zum Arbeitgeber zu stark?

Ich habe sogar überlegt mich komplett umzuorientieren. Meinen Job hinter mir zu lassen, eine Abfindung anzunehmen und das zu machen was mir Spaß machen wird. Aber auch hier: Wie reagieren Freunde und Familie? Würde mich das wirklich glücklich machen?
Meinen Lebensstandard werde ich dann nicht mehr halten können...

Fragen über Fragen.
Durch die Isolation und Kurzarbeit habe ich leider viel zu viel Zeit nachzudenken. Ich zerbreche mir über alles den Kopf, nichts lenkt mich mehr ab und zu nichts anderem kann ich mich motivieren. Das tut echt weh.

15.05.2020 10:09 • x 1 #3

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