Freund begeht Selbstmord und lässt mich allein - verstehe es nicht

Missi
Ich melde mich später ... versprochen!!! Das war seine letzte Nachricht an mich, danach ist er in den Wald gegangen und hat sich erhängt ... das war am 20.07.11

Ich bin traumatisiert, wütend, ängstlich, kann nur noch weinen, der Schmerz ist riesig. Ich hab kaum noch eigenen Lebenswillen. Thomas war mein Leben! Immer wieder diese hämmernden Fragen: Was habe ich übersehen? Was hätte ich noch tun sollen? Wäre ich einfach gegen seinen Wunsch doch schon am Nachmittag zu ihm gefahren, dann hätte ich ihn wohl aufhalten können?

Und dann ist da diese Wut und Enttäuschung Thomas gegenüber. Warum lässt er mich allein hier? Warum hat er nicht in unsere Beziehung vertraut und ist mit seinen Sorgen zu mir gekommen? Warum hat er all die vergessen, die ihn geliebt haben und jetzt so voller Trauer sind?

Ich werde zurzeit in einer Klinik aufgefangen, anfangs war der Drang so groß, es ihm gleich zu tun. Dieser Schmerz ist kaum auszuhalten, die Hoffnungslosigkeit so groß. Ich bekomme Beruhigungsmittel, 3x am Tag und manchmal noch was zusätzlich. Der Drang, ihm hinterherzugehen, lässt nun langsam nach. Ich sehe wieder meine Kinder, für die ich Mutter bleiben muss. Aber ich weiß noch nichts mit all den Überresten meines vorherigen Lebens anzufangen. Da sind nur noch Bruchstücke vorhanden, jeder Versuch, etwas davon aufzuheben ist mit dem Verlust von Thomas verbunden. Wo soll ich nun lang gehen?

Durch Thomas habe ich zum ersten Mal erlebt, bedingungslos geliebt zu werden, ehrlich, herzlich, erwärmend, tröstlich, stark, respektvoll. Er war wie ein Sechser im Lotto, war da, als ich am wenigsten damit gerechnet hatte. Und jetzt ist er weg ... und ich verstehe es nicht.

28.07.2011 19:17 • #1


R
liebe Missi,

ich hätte mir einen anderen anlass gewünscht wieder von dir zu lesen.

es ist schwierig etwas zu sagen, was gegen deinen tiefen schmerz ankommt, aber ich möchte auch nicht schweigend nur deinen beitrag lesen.

gewiß ist, dass es irgendwann besser gehen wird und das die zeit bis dahin grausam sein wird.

ich glaube jeder hier würde gerne etwas von diesem leid, dass dir zugefügt wurde, abnehmen, um es dir ertäglicher zu machen.

aber das können vermutlich im moment nur die pillen, die dich betäuben und dich etwas aus der harten realität reißen.

missi, du hast vielen useren hier durch harte tage geholfen.

jetzt bist du jemand der hilfe braucht. ich hoffe auf viele hilfreiche antworten, die dir vielleicht eine kleine stütze sind.

ich habe schon viele gefühle in meinem leben kennen gelernt - dieses wurde mir zum glück erspart, deshalb wäre es anmaßend zu sagen,
dass ich nachempfinden kann, wie es sich anfühlt.

ich wünsche dir ganz viel kraft und knuddel dich ganz fest.

ganz lieber gruß

Rainer

28.07.2011 19:43 • #2


A


Hallo Missi,

Freund begeht Selbstmord und lässt mich allein - verstehe es nicht

x 3#3


Missi
Jeder Morgen ist erneut eine Qual, jeder Morgen bringt den Schmerz wieder, der in den Stunden des Schlafes ein wenig weicht. Und er will einfach nicht nachlassen...

Morgen ist die Beerdigung und ich werde nicht hingehen. Ich schaffe das nicht. Außerdem ist es eine Trauerfeier, in der nicht die Worte gesprochen werden, die meines Erachtens nach dort hingehören. Seine Ex-Frau (sie wären in den nächsten Tagen geschieden worden) hat die Trauerfeier unter Ausschluss meiner Person organisiert. Ja sie verweigert sogar die Zustimmung, dass ich mich mit der Polizei über die näheren Umstände seines Todes unterhalten kann. Warum hasst mich diese Frau so? Ich hab ihr ihren Mann nicht weggenommen. Im Gegenteil: sie hat ihn weggeworfen und immer wieder darauf herumgetreten. Bis ich in sein Leben getreten bin und er sich dann nicht mehr hat demütigen lassen. Er wurde stärker, setzte dich durch und schien glücklich. So glaubte ich es jedenfalls.

Gibt mir seine Exfrau etwa die Schuld an seinem Tod, weil ich ihm bis zum Schluss so Nahe war? Aber ich habe doch nichts davon gemerkt. Ja, wir haben über seine Verzweiflung gesprochen, aber er hat mir versprochen, dass er mich und seine Söhne nicht im Stich lässt. Und ich habe auf seine Worte vertraut. Warum? Warum? Warum? Ich fühle mich von ihm im Stich gelassen, des Vertrauens enthoben. Warum hatte er so plötzlich das Vertrauen in unsere Liebe verloren?

Morgen, wenn die unechte Trauerfeier vorbei ist, werde ich zusammen mit meiner Tochter und ein paar engen Freunden seinen Ort der Ruhe aufsuchen und mich von ihm verabschieden. Dann, wenn alle weg sind, alle die, die in den letzten Wochen nicht an seiner Seite standen und sich nicht für seine Probleme interessiert haben. Da gibt es nur einen ganz kleinen Kreis von Menschen, die ihm wirklich nahe standen und ihm tschüss sagen.

Mein lieber Thomas, wo bist du jetzt? Kannst du mir sagen, wie ich wieder Halt finden soll in dieser Welt? Bist du bei mir, in mir, um mich herum?

Ich fühle mich meinen Emotionen hilflos ausgesetzt und bin froh, hier in dieser Klinik zu sein. Mein Bett ist wie ein Kokon, in dem ich mich immer wieder schützend zurückziehe, weine, schimpfe, lese, singe. Ich bin verrückt, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin aus meinem bisherigen Leben ver-rückt worden in ein Welt, in der ich nicht sein wollte, eine Welt ohne Thomas.

29.07.2011 11:02 • #3


Steffi
Liebe Missi,

da hast Du es doppelt schwer. An seine Frau musste ich in den letzten Tagen schon denken. Dass sie so reagiert, trifft Dich natürlich noch härter, als es die Umstände schon mit sich bringen. Ich denke, wenn Thomas beigesetzt ist, hast du die Chance, zu etwas mehr Ruhe zu finden. Diese Zeit bis zu einer Beerdigung - und damit auch einem Abschluss - fühlt sich für jeden an wie ein Schwebezustand, der es nicht zulässt, wieder etwas mehr festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Es wird sicher schwer sein für Dich, Dich auch künftig damit abzufinden, dass sein Grab von anderen Menschen gepflegt wird.

Du fragst, wo er ist. Er ist ganz sicher bei Dir, davon bin ich überzeugt.

29.07.2011 11:36 • #4


M
Zitat von Steffi:
Du fragst, wo er ist. Er ist ganz sicher bei Dir, davon bin ich überzeugt.
Davon bin ich auch überzeugt, Missi, er ist bei Dir - immer.

Es gab etwas, was er nicht ertragen hat - das muß nichts mit Eurer Beziehung, Eurer Liebe zu tun gehabt haben.

Ach Mensch, es ist so schwer die richtigen Worte zu finden. Ich will Dir nicht nur mit leeren Worten tröstend über den Kopf tätscheln, das hilft Dir nicht weiter. Ich möchte Deine Einträge aber, genau wie Rainer, nicht einfach nur schweigend aufnehmen. Das ist, gluabe ich, ein Problem, mit dem viele Trauernde kämpfen - dass kaum jemand mit ihnen spricht. Vielleicht aus Angst, das falsche zu sagen. Wenn Du vielleicht garnichts hören, bzw. lesen möchtest, dann schreibe es nur.

Zitat von Missi:
Ich bin traumatisiert, wütend, ängstlich, kann nur noch weinen
So schmerzlich es auch ist, ich glaube das sind die ersten wichtigen Schritte der Trauerarbeit.
Zitat von Missi:
Warum hasst mich diese Frau so?
Das scheint ihr die Trauer zu erleichtern, für Dich ist es mit Sicherheit sehr schlimm. Missi, das geht wahrscheinlich nicht gegen Dich als Person - so würde sie sich jetzt jeder anderen Frau gegenüber verhalten, mit der ihr (Ex-)Mann glücklich gewesen wäre. Aber das hilft Dir auch nichts.

Missi, ich bin froh, dass Du Hilfe in der Klinik gefunden hast - Du hast keine wertvolle Zeit verloren.

Bis bald

29.07.2011 13:38 • #5


M
Liebe Missi,
auch ich möchte nicht nur ein stiller Mitleser sein. Aber ich weiß, dass es keine Worte gibt, die dir genügend Trost geben können.
Eines aber ist gewiss, dass der Schmerz mit der Zeit erträglicher wird.
Ich würde dich gerne in den Arm nehmen...

29.07.2011 14:51 • #6


R
Liebe Missi,

mir fehlen die Worte. Ich wünsche Dir ganz viel Kraft und schicke Dir einen Schutzengel.
Es ist gut, dass Du weinen kannst, das gehört zur Trauer dazu und ist besser als es zu unterdrücken, dann leidest Du nur länger (aufhören wird der Schmerz vermutlich nie, nur weniger werden;
ich habe auch schon 2 liebe Menschen durch S*** verloren, aber sie standen mir nicht so nah wie bei Dir).
Ich denke auch dass die Exfrau ihre eigene Trauer mit der Wut auf Dich überdeckt.

Liebe Gruesse

Rennratte

29.07.2011 16:39 • #7


Missi
Ich kann einfach nicht verstehen, warum er sein Leben beendet hat. Ich finde keinen Sinn dahinter. Auch keine Zeichen vorher deuteten darauf hin, dass sein Seelenzustand so verzweifelt war, dass er nicht mehr leben wollte. Seine gesamten Aktivitäten der letzten Tage zeugten davon, dass unser Leben ganz normal weitergeht. Mit all den kleinen und großen Problemen, die wir die vielen Wochen vorher auch schon hatten. Wir hatten einen Plan, wie wir mit seinen beruflichen Problemen umgehen wollten, nach dem Urlaub, es war alles besprochen. Er musste nur noch 3 Tage durchhalten. Ich versteh es nicht!!!!!!!!!!!!!!

So plötzlich ...

So gewalttätig ...

So endgültig ...

Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Und doch bedeuten sie immer wieder nur eins, dass es endgültig ist, dass es kein zurück gibt, dass ich mich damit abfinden muss.


Segnung
Gesegnet seien alle, die mir jetzt nicht ausweichen.
Dankbar bin ich für jeden, der mir einmal zulächelt und mir seine Hand reicht,
wenn ich mich verlassen fühle.
Gesegnet seien die, die mich immer noch besuchen,
obwohl sie Angst haben, etwas Falsches zu sagen.
Gesegnet seien alle, die mir erlauben, mit dem Verstorbenen zu sprechen.
Ich möchte meine Erinnerungen nicht totschweigen.
Ich suche Menschen, denen ich mitteilen kann, was mich bewegt.
Gesegnet seien alle, die mir zuhören, auch wenn das, was ich zu sagen habe,
sehr schwer zu ertragen ist.
Gesegnet seien alle, die mich nicht ändern wollen,
sondern geduldig annehmen, wie ich jetzt bin.
Gesegnet seien alle, die mich trösten und mir zusichern,
dass Gott mich nicht verlassen hat... (Marie-Luise Wölfing)

29.07.2011 19:47 • #8


Steffi
Missi, nahm Thomas eigentlich ein Antidepressivum ?
Mir ging vorhin nämlich durch den Kopf, dass auch ein Antidepressiva für eine solche Kurzschlussreaktion verantwortlich sein kann.

29.07.2011 20:17 • #9


Brave
Liebe Missi,

habe von Dir ja schon an ganz anderer Stelle gelesen....
Auch mein Sohn war nicht auffällig - in keiner Weise, als er den Weg gegangen ist.
Er war zwar auch krank und nahm Medis, aber auch für ihn hätten die Ferien begonnen. Er hätte sich wieder aufrappeln können. Können........

Dieses Warum, diesen direkten Auslöser werden wir nie erfahren.
Aber damit habe ich mich nach 2 1/2 Jahren abfinden können.

Ich bin so froh, dass Du in der Klinik bist und das Deine Kinder wieder in den Fokus getreten sind.
Für sie lohnt es sich weiterzuleben.
Sei geduldig mit Dir - die Zeit wird Deine Verbündete.

Dir ganz viel Kraft - auch besonders für den morgigen Tag -

Brave

29.07.2011 20:27 • #10


G
Hallo Missi,

mir fehlen die Worte, ich wollte aber auch nur, dass du weißt, dass ich auch mitlese und nicht einfach still im Hintergrund stehe.

Ich hoffe es hilft dir, wenn du hier ein wenig schreiben kannst.

29.07.2011 20:52 • #11


H
Oh Missi,

wie viele meiner Vorschreiber weiß ich gar nicht was ich sagen soll....Als ich den Therad anklickte hatte ich nicht gesehen um welches Unterforum es sich handelt und mich gefreut dein Foto zu sehen, dann erst hab ich gelesen warum du dich wider angemeldet hast....
Was soll ich sagen? Ich weiß nicht. Einfach nur ein kleines bisschen Anteilnahme in ein paar Worten auszudrücken. Ich werde an Dich denken und für dich hoffen, dass es jeden Tag ein bisschen besser geht und du irgendwann mit den vielen quälenden Fragen in deinem Kopf umgehen kannst.

hedwig

29.07.2011 20:54 • #12


M
Missi, gibt es denn keinen Abschiedsbrief, der seine Entscheidung ein kleines bischen erklären würde?

31.07.2011 10:50 • #13


Missi
Gestern ist die Beerdigungen gelaufen, ohne mich ... ich war nicht in die Vorbereitungen eingebunden, und so wie mir seine Mutter erzählt hat, wurde ich auch mit keiner Silbe erwähnt. Ich existiere einfach nicht und sie, seine Exfrau, spielt die trauernde Witwe. Das alles schmerzt noch so viel mehr also ohenhin schon.

Auch seinen Facebookaccount hat sie schon entfernen lassen, obwohl dort einige Freunde Abschiedsgedichte hinterlassen hatten.

Sein Auto ist schon verkauft.

Aufgeräumt. Weggepackt. Nach gerade mal 10 Tagen...

Und ich finde keinen Weg aus der tiefen Trauer heraus. Ich finde keine Erklärung, habe alles nach einem Abschiedsbrief abgesucht, doch nichts ... Es muss am Morgen seines Todes in der Firma etwas passiert sein, dass ihn zu dieser Kurzschlusshandlung geführt hat.

Zitat von Steffi:
Missi, nahm Thomas eigentlich ein Antidepressivum ?
Ja, er nahm Sertralin 50 mg, schon seit letztes Jahr Oktober. Aber erklärt das wirklich, was passiert ist?

Möglicherweise war Thomas die ganze Zeit über depressiv, ich habs nur nicht so gemerkt, weil ich ihn schließlich nur so kannte. Unsere Verliebtheit hat sicher einiges überdeckt, wir hatten eine traumhaft schöne Zeit zusammen, fühlten uns gemeinsam stark, ausgeglichen, gegenseitig erwärmt. Aber den Schatten auf seiner Seele habe ich doch hin und wieder gesehen, den die Trennnung von seiner Familie, von seinen Söhnen, hinterließ. Als wir uns kennen und lieben lernten, hatte er ein ganzes Jahr Kampf um den Erhalt seiner Ehe hinter sich, begriff da gerade erst, dass es nicht mehr geht.

Und dann begegneten wir uns. Für uns beide zunächst ein Glücksfall. Ich war ebenfalls gerade getrennt von meinem Mann, hatte mich endlich zu diesem Schritt durchgerungen. Wir konnten uns gegenseitig wieder aufbauen, gegenseitige Wertschätzung vermitteln, lieben. Darüber hinaus hat Thomas offensichtlich vergessen, dass er bis dahin in einer tiefen Depression gesteckt hatte.
Eigentlich hätten die Therapien fortgesetzt werden müssen nach seiner Rehamaßnahme im März. Doch Thomas fühlte sich so gut, dass er sich darum nicht kümmerte. Und ich auch nicht, wir waren glücklich.

Der Einbruch und die Erkenntnis dass Thomas immer noch krank ist, kamen erst kurz vor seinem Suizid. Die Belastung auf Arbeit wurden immer größer, weil ein wichtiger Leistungsträger in Thomas Abteilung in Vorruhestand getreten ist und die Firmenleitung keinen adäquaten Ersatz hatte. Thomas fühlte sich mit diesen Aufgaben aber zusehends überfordert und hat dies seinen Vorgesetzten mitgeteilt. Doch die verwiesen auf die Sommerpause ...
Dann ging alles so rasend schnell. Samstag habe ich ihn morgens schon kaum aus dem Bett bekommen, er war so antriebsarm, wollte nicht reden. Ich bin mit ihm raus an die frische Luft und dann ging es ein wenig besser.
Am Sonntag dann das gleiche Spiel von vorne. Da habe ich ihm auf den Kopf zugesagt, dass er bereits schwer depressiv ist und er zum Arzt müsse. Wieder machten wir einen langen Spaziergang und überlegten, wie es weitergehen könnte. Wir hatten alles durchgesprochen und Thomas hatte auch wieder Hoffnung und wollte sich Hilfe holen.
Schon am Montag ging er zur psychologischen Beratungsstelle in seiner Firma. Doch dort fühlte er sich nicht richtig verstanden. Also beschlossen wir, ihm nach unserem gemeinsamen Urlaub einen Therapeuten zu suchen. Er sagte ja, es ginge soweit, er schafft das schon noch bis Freitag. Das wären nur noch 4 Arbeitstage gewesen.

Und dann war da am Mittwoch das fatale Personalgespräch, dessen Inhalt ich immer noch nicht kenne. Er ist wohl sofort beurlaubt worden, hat dann alle privatenTermine soweit abgesagt, mir aber versprochen, dass er sich später bei mir meldet. Ich hatte nach all den vielen Gesprächen nicht den geringsten Zweifel daran, dass er dies nicht tun würde. An einen Suizid habe ich nicht nicht im Entferntesten gedacht. Und es traf mich wie ein Faustschlag mitten in die Seele.

31.07.2011 14:25 • #14


Missi
Es gab an jenem Nachmittag eine Stunde, in der ich plötzlich von tiefer Trauer ergriffen wurde und hemmungslos zu weinen begann. Heute weiß ich, es war die Zeit seines Todes ... Ich habe danach noch ein wenig gewartet und bin dann in seine Wohnung gefahren. Als ich dort Schlüssel und Papiere als auch Handy vorfand, wusste ich, dass er weg ist, für immer ...

Ich fühle mich verantwortlich für dieses Ende. Ich denke immer wieder, ich hätte vielleicht doch etwas dagegen tun können. Wäre ich doch gleich mittags zu ihm gefahren, dann hätte ich ihn aufhalten können ... Diese Fragen drehen sich unablässig im Kreis und es bleibt doch unabänderlich.

Thomas ist Tod!

Ich werde nie wieder seine Haut berühren können, seiner sanften Stimme lauschen, sein ansteckendes fast ein wenig zu lautes Lachen hören, seine Hände fassen, in seine Augen sehen können. Ich habe ihn geliebt und ich bin geliebt worden. Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich von einem Menschen bedingungslos geliebt, respektiert, ja beinahe auf Händen getragen. Er war immer so aufmerksam, ich fühlte mich so geborgen.

Warum geht so ein Mensch freiwillig aus dem Leben?

Ich fühle mich vom Leben betrogen um meines persönlichen Glückes Willen. Was soll ich noch hier? Ich bin so wütend und enttäuscht vom Leben. Ich kann nicht mehr ...

31.07.2011 14:28 • #15


M
Zitat von Missi:
Und dann war da am Mittwoch das fatale Personalgespräch, dessen Inhalt ich immer noch nicht kenne. Er ist wohl sofort beurlaubt worden,
Die sofortige Beurlaubung nach diesem Gespräch läßt einen wirklich vermuten, dass da etwas gravierendes vorgefallen ist. Kennst Du jemanden dort, mit dem Du einmal sprechen könntest?
Zitat von Missi:
Ich fühle mich verantwortlich für dieses Ende. Ich denke immer wieder, ich hätte vielleicht doch etwas dagegen tun können. Wäre ich doch gleich mittags zu ihm gefahren, dann hätte ich ihn aufhalten können ...
Missi, ich verstehe Deine Gefühle, aber Du bist nicht verantwortlich. Jeder Mensch ist für sich selbst verantwortlich. Ob Du ihn hättest aufhalten können, weiß kein Mensch - und selbst wenn....er hätte sich vermutlich einen anderen Zeitpunkt ausgesucht.
Ich fühle in jedem Wort von Dir Deine Verzweiflung aber entschuldige bitte, wenn ich darauf nicht weiter eingehen werde. Jeder Versuch von tröstenden Worten klingt einfach hohl. Trauende Menschen in meiner Umgebung nehme ich nur wortlos in die Arme, es gibt in dem Moment nichts hilfreiches zu sagen.....

31.07.2011 14:50 • #16


S
Wenn ich zur Ruhe kommen will, dann hilft mir u.a. immer dieses Lied (Stiller Ruhe):
Es spricht meine Seele wie die Seele vieler Anderer an. Vielleicht hilft es dir auch Missi.

31.07.2011 23:21 • #17


Steffi
Das ist richtig schön, salamander Es hat etwas Aufbauendes.

Zitat:
Ja, er nahm Sertralin 50 mg, schon seit letztes Jahr Oktober. Aber erklärt das wirklich, was passiert ist?

Missi, ich hatte dir diese Frage gestellt, weil ich mich an Fernseh- und Zeitungsberichte erinnerte, die aufdeckten, dass durch die Einnahme gerade von Sertralin plötzlich Suizidgedanken entstehen können. Es gab einige Fälle in den USA, aber auch in Deutschland, wo depressive Menschen nach Einnahme von Sertralin in einer Art Kurzschlussreaktion sich das Leben nahmen, die vorher überhaupt nicht suizidgefährdet waren. Seither wird in den Beipackzetteln ausdrücklich darauf hingewiesen.
Daran erinnerte mich Deine Schilderung der Ereignisse.

Du beschreibst Thomas allerdings als einen Menschen, der schon länger unter einer Depression gelitten und auch das Sertralin schon eine Weile genommen hat. Insofern denke ich, scheidet meine Vermutung aus.

01.08.2011 17:09 • #18


Missi
Ich fühle derzeit eine Leere in mir, der Tag geht so dahin, irgendwie endlos die Stunden und ich darin ohne Ziel. Ich bin ruhiger, nicht mehr so sehr von heftigen Emotionen ergriffen, das machen sicher auch die Medikamente. Dennoch fühle ich, bin nicht abgestumpft. Seit Gestern bekomme ich deutlich weniger Beruhigungsmittel als noch davor. Aber es scheint, als irre ich ziellos umher. Manchmal weine ich, manchmal rede ich, ich esse, schlafe, wie in einem undimensionierten zeitlosen Raum.
Ich weiß nicht, ob ich mit den Therapeuten schon über Zukünftiges sprechen kann. Worüber denn? Zwei Wochen lang ist mein Sohn jetzt bei seinem Vater, da wartet niemand auf mich. Und dann? Soll ich jetzt nach Hause gehen? Oder später? Oder wann überhaupt? Oder wohin? Ziellos. Zeitlos. Leer. Ein absoluter Ausnahmezustand.
Ich kann kaum in Worte fassen, was ich fühle.

Ich habe hier Ergo-Therapie und male ein Bild. Jedesmal wenn ich ein Stück mehr gemalt habe, sitze ich am Ende davor und weine. Der Therapeut sagt mir, es ist Trauerarbeit. Ich male, was ich fühle, aber ich kann nicht beschreiben, wie es sich anfühlt. Den Rest des Tages bin ich mir selbst ausgesetzt mit allen meinen Empfindungen. Ich bin nicht in der Lage, Kontakt mit den Mitpatienten aufzunehmen. Ich mag ihnen nicht zuhören, ich mag ihnen nichts von mir erzählen.
Mit den Pflegekräften auf Station kann ich manchmal reden. Sie nehmen sich immer Zeit für mich, wenn ich danach verlange. Dann lade ich all meine Gedanken bei ihnen ab und ziehe wieder weiter, um neue Gedanken aufzunehmen.

Und ich bekomme Besuch von einigen wenigen lieben Freunden und von meiner Tochter. Dann kann ich reden, über Thomas, über verlorene Pläne, über Zukunftsängste, über die Einsamkeit. Ich bin nicht allein und doch allein.

Morgen wären wir in unseren ersten gemeinsamen Urlaub gereist, nach Griechenland. Wir hatten so viele Pläne ...

02.08.2011 15:15 • #19


Glasscherbe
Liebe Missi,

mir fehlen nach wie vor die Worte ... ich möcht dich einfach nur mal virtuell in den Arm nehmen. Ich finde nicht die passenden Worte - vielleicht gibt es ja gar keine dafür.

02.08.2011 15:51 • #20


S
Liebe Missi,

ich lese auch jetzt erst, was du zurzeit durchmachst. Ich denke an dich.

Worte können dir wohl zurzeit nicht wirklich weiterhelfen. Nur die Tatsache, dass wir hier - wenn auch nur ganz weit weg - für dich da sein wollen.

Sera.

03.08.2011 17:37 • #21


Missi
Langsam fasse ich wieder ein wenig Mut, doch irgendwie weiterleben zu können. Einem Mitpatienten ist es vor 2 Tagen gelungen, mich aus meiner Erstarrung zu lösen und durch banales Tischtennis spielen Kontakt zu mir aufzunehmen. Ich habe die erste Stunde seit dieser Tragödie weitgehend unbeschwert verbracht. Seither gelingt es mir immer öfter, mich auf die Ablenkung einzulassen. Wir reden, spielen Tischtennis oder andere Gesellschaftsspiele oder singen zusammen. Ein kleiner Lichtblick ...

Morgen habe ich einen Tagesurlaub, da fahre ich zum ersten Mal alleine in meine/unsere Wohnung. Ich will aufspüren, welche Orte so bleiben können und wo in der Wohnung vielleicht umgeräumt werden muss, weil die Erinnerung an Thomas doch zu schmerzhaft ist. Es ist beruhigend zu wissen, dass ich jederzeit, spätestens aber am Abend, hierher in die Klinik zurückkehren kann, in die schützende Höhle. Zu den Pflegekräften besteht nun ein sehr intensiver Kontakt, sie spüren genau, wann es mir gut geht und wann nicht. Ich habe überhaupt keine Scheu mehr, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Das schafft Vertrauen in diese Umgebung hier. Hier fühle ich mich sicher.
Und wenn der Tagesurlaub morgen gut gegangen ist, werde ich auch den Sonntag in meiner Wohnung verbringen. Muss ich aber nicht. Und auch das ist beruhigend.

Wut ist da, hilflose Wut, weil die Person, auf die ich wütend bin, nicht mehr greifbar ist ... Thomas. Ich fühle mich dieser hilflosen Wut viel zu oft ausgesetzt, ohnmächtig ihr zu begegnen. Ich brauche ein Ventil. Das haben mir nun die Pflegekräfte verschafft. Ich kann auf der Nachbarstation im Sportraum den Sandsack bearbeiten, wenn mich diese Wut wieder erfasst. Ich bin gespannt ob mir das hilft. Ansonsten hätten sie noch altes Geschirr, dass ich zerdeppern darf. Diese kreative Art der Pflegekräfte, sich um mein Wohlergehen zu kümmern, finde ich bewundernswert, rührend. Von Anfang an schon habe ich eine zweite Bettdecke in meinem Bett, die ich zusammenrolle und mich darin wie in ein Nest einkuschle. Das hilft mir über die einsamen Nächte.

Doch der Morgen ist nach wie vor sehr schlimm. Jeden Morgen wache ich auf mit der Erkenntnis, dass die Wahrheit von gestern auch heute noch gilt. Thomas ist nicht mehr da und wird nie mehr zurückkehren.

Und doch, es gibt einen Lichtblick ... einen kleinen ... dank der wirklich fürsorglichen Pflegekräfte und diesem Mitpatienten.

05.08.2011 19:41 • #22


L
du bist so so stark, das ist bewundernswert. du meisterst das alles so gut.

zwar kann ich deine situation quasi kaum nachvollziehen, trotzdem weiß ich, wie schmerzhaft es ist, wenn der, den man liebt, einfach weg ist.
und jeden morgen wenn man aufwacht ist das gefühl wieder da.

es ist so unfair, einfach zu gehen, einfach zu verschwinden, es ist so leicht, aber für die liebenden ist es so schwer, die lücke zu füllen.

ich wünsche dir ganz viel kraft, mach weiter so!

05.08.2011 19:53 • #23


S
Hallo Missi,

wie geht es dir? Ich denke oft an dich.

Sera.

05.08.2011 20:55 • #24


M
Liebe Missi,
Zitat von Missi:
Wut ist da, hilflose Wut,
Ich habe schön öfter gelesen, dass diese Wut ein ganz wichtiges Stück der Trauerarbeit ist. Verkloppe diesen Sandsack nur so doll es geht. Du scheinst es in dieser Klinik wirklich gut getroffen zu haben.

06.08.2011 11:53 • #25


Missi
Mein Besuch in meiner Wohnung gestern war sehr schmerzhaft. Seine Abwesenheit scheint mich aus allen Winkeln anzuschreien, kein Platz, keine Bewegung, kein Geräusch, das ich nicht irgendwie mit Thomas in Verbindung bringe. So lange ich mich noch beschäftigen konnte, war alles soweit okay. Aber als ich mich hinsetzte, wurde mir richtig übel vor Anspannung, Trauer, Einsamkeit. Und ich bin regelrecht aus meiner Wohnung geflüchtet.

Heute war ich nochmal da, ich hatte diesmal Begleitung. Und da war es schon deutlich besser. Wir haben uns umgeschaut und dann mit einer Tasse Kaffee auf mein Sofa gesetzt und geredet. Und langsam fing ich an, mich wieder in meiner Kuschelecke wohl zu fühlen. Nach ca. zwei Stunden sind wir wieder gegangen. Und so ist das Thema Wohnung nicht mehr ganz so negativ besetzt, wie noch gestern.

Es gibt ein Leben danach. Es fühlt sich an, als ob ich es neu erlernen müsste. Alles fällt viel schwerer. Und es schleichen sich auch immer wieder zermürbende Fragen ein, die ich niemals beantworten kann. Bei allem was ich tue, was mir ein wenig Freude bereitet, mischt sich immer ein bitterer Beigeschmack ein. Wo wäre ich jetzt, wenn Thomas noch leben würde? Was täte ich jetzt, wenn ...? Würde es diese oder jene Begegnung überhaupt geben, wenn ...?

Aber es ist auch so, als hätte ich jetzt eine Strategie entwickelt, mich mit meiner Trauer auseinanderzusetzen. Es ist mir möglich, mich abzulenken, wenn der Schmerz zu groß wird. Ich kann die Trauer heranholen, wenn ich mich damit auseinandersetzen möchte. Und meistens auch wieder wegpacken, wenn es genug ist. Die Momente, in denen mich die Trauer erfasst und überrollt, wie ein heranrasender Zug, werden weniger. Ich habe wieder ein wenig mehr Kontrolle über mich selbst.

07.08.2011 16:10 • #26


M
Wieder einen Riesenschritt geschafft Das liest sich alles schon ein bischen zuversichtlicher. Du findest Deinen Weg, mit dem Geschehen umzugehen

07.08.2011 17:42 • #27


S
Hallo Missi,

ich denke oft an dich.

Sera.

07.08.2011 18:29 • #28


Steffi
Hallo Missi, das sind positive Nachrichten - vorsichtig formuliert. Dass Du es geschafft hast, in Deine Wohnung zu gehen und später auch 2 Stunden dort zu bleiben, ist ein riesiger Schritt für Dich nach vorne. Es wird noch lange vieles schmerzhaft sein, aber Du lernst allmählich, besser damit umzugehen.

07.08.2011 22:07 • #29


A


Hallo Missi,

x 4#30


Missi
Heute wurde in der Visite erstmals das Thema Danach angesprochen. Es gibt die Möglichkeit einer Tagesklinik, das scheint mir ein guter Weg zu sein. Denn noch habe ich eine Riesenangst, irgendwann meine schützende Höhle hier verlassen zu müssen. Mit der Tagesklinik wäre der Bruch nicht ganz so heftig und ich kann das zu Hause Erlebte weiterhin mit entsprechender fachlicher Betreuung verarbeiten.

Jede direkte Zuwendung mit Dingen, die Thomas betreffen, tun unglaublich weh. Ich weiß mittlerweile, dass meine Fragen und Gedanken was-wäre-wenn zu keinem Ergebnis führen. Ich muss mit der Tatsache abfinden, dass es kein Zurück gibt. Thomas hat entschieden, ohne mich zu fragen. Das tut weh. Ich fühle mich betrogen um eine schöne Partnerschaft, um ein Leben mit einem wunderbaren Menschen gemeinsam. Ich durfte nur kurz davon kosten, wie es ist, bedingungslos geliebt zu werden und bedingungslos zu lieben. Warum nur so kurz? Wird mir das nochmal passieren? Kann ich mich je wieder darauf einlassen?

Ich möchte nur zu gerne die Zeit zurück drehen und Thomas vor diesem Schritt bewahren. Doch es geht nicht ... Ich muss mich abfinden mit etwas, dass ich nie gewollt, dass ich nicht geahnt habe, niemals in Betracht gezogen habe. Ich dachte, meine liebevolle Zuwendung reicht aus, mein Kümmern, mein Pläne-schmieden. Aber es hat für Thomas nicht gereicht. Er hat anders entschieden. Und es ist für mich einfach nicht nachvollziehbar, unbegreiflich, unfassbar. Und wird es wohl auch immer bleiben.

Ich fühle mich vom Leben betrogen ...

08.08.2011 19:40 • #30

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