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Zuhören

T
Gestern hatte ich so ein Aha-Erlebnis - es geht ums Zuhören. Ist es nicht etwas ganz seltenes und gleichzeitig total erfrischendes, wenn man jemand gefunden hat, der/die auch mal zuhören kann?

Ich habe schon seit Jahrzehnten den Eindruck, dass beinahe jeder Mensch total gerne erzählt, aber sehr sehr wenige auch zuhören können und wollen. Bin mir nichtmal sicher, ob ich selbst ein guter Zuhörer bin.
Letztendlich ist ja ein Hauptbestandteil einer Psychotherapie oder auch Selbsthilfegruppe das Zuhören. Irgendwie fühlt man sich danach energiegeladener, wenn einem jemand zugehört hat. Ein Therapeut ist unter anderem irgendwie auch ein bezahlter Zuhörer. Selbst in der Kirche wird das Prinzip angewendet, nämlich bei der Beichte. Vielleicht war das die Therapie des Mittelalters.
Und das Prinzip von Instagram, Facebook etc., ja auch hier, ist doch einfach erzählen zu können in der Hoffnung, dass es irgend jemanden interessiert.

Bleibt die (eher rhetorische) Frage: Warum ist erzählen so einfach und befreiend, und zuhören so schwer und selten?

Grüße
Träumer59

25.02.2021 11:14 • x 5 #1


Heideblümchen
Interessante Frage, @Träumer59

Es kommt wohl immer darauf an, dass beide Seiten zusammen passen. Hat jemand viel zu erzählen, aber den falschen Zuhörer, dann empfindet er das als traurig, dass niemand zuhört. Hat jemand einen Zuhörer, aber nichts zu erzählen, dann ist das auch nicht so toll.

Vielleicht liegt es auch daran, dass heute kaum noch jemand - unbezahlt - Zeit hat, einem anderen zuzuhören. Und durch die ganze Reizüberflutung hat man oft keinen Kopf für die Probleme und Geschichten anderer, aber ist selber so überflutet, dass man viel zu erzählen hätte.

Dein Hinweis auf früher ist gar nicht so weit hergeholt. Früher gab es keine Medien im heutigen Sinne. Die Menschen, die zusammen wohnten, hatten nicht so viele Kontaktmöglichkeiten wie heute und saßen daher eher viel zusammen und haben sich Geschichten erzählt - wahre und unwahre. Heute muss irgendwie alles spannend, kribbelnd und aus erster Quelle sein. Ist es das nicht, wird es schnell langweilig nach dem Motto das habe ich doch schon x Mal gehört.

Beides, befreit erzählen können, aber auch zuhören, ist jeweils eine Gabe, die nicht jeder gleich (gut) beherrscht.

25.02.2021 14:18 • x 4 #2


A


Hallo Träumer59,

Zuhören

x 3#3


A
Zitat von Träumer59:
Warum ist erzählen so einfach und befreiend, und zuhören so schwer und selten?

Dahingehend habe ich gestern eine Erfahrung gemacht und Erkenntnis gewonnen.
Für mich ist zuhören mit beraten und helfen müssen gleichgesetzt.

Und es kommt auf die Art des Berichts an, den man sich anhört.

24.05.2021 11:32 • x 2 #3


T
Das stimmt, viele fühlen sich dann vielleicht verpflichtet zu beraten und zu helfen.

Aber ich möchte das Beratet werden ja eigentlich gar nicht, wenn ich etwas erzähle, sondern einfach nur etwas loswerden, ohne Tipps dafür zu kriegen. Hmmm...irgendwie schwierig, finde ich.

Nach meinen ersten Therapiestunden habe ich mich auch gewundert, warum ich keine Tipps kriege. Bis ich irgendwann gemerkt habe, dass das Befreiende einfach im Erzählen und der Aufmerksamkeit des Zuhörers liegt.

24.05.2021 13:43 • x 1 #4


ZeroOne
Zitat von Träumer59:
Warum ist erzählen so einfach und befreiend, und zuhören so schwer und selten?


Durch das Erzählen kann man eine Last abgeben, oder zumindest teilen.
Beim Zuhören muss man etwas zusätzliches annehmen. Das wird vielen in der heutigen Welt vielleicht zu viel geworden sein.

Zudem, so denke ich, ist Zuhören in dieser schnelllebigen Zeit eine Kunst geworden, die die meisten nicht mehr beherrschen, bzw. gar nicht mehr gelernt haben.

LG
ZeroOne

24.05.2021 14:47 • x 1 #5


Krizzly
Findet ihr es wirklich so befreiend, einfach nur zu erzählen? Ich wünsche mir oft schon, dass mir jemand eine Lösung präsentieren kann, auf die ich vielleicht selber noch nicht gekommen bin. Und ich fühl mich in der Therapie eher allein gelassen, wenn sich der Therapeut nur meinen ganzen Mist anhört und ich dann aber genauso schlau wie vorher rausgehe.
Das ist natürlich nicht immer und bei jedem Problem so. Manchmal befreit es tatsächlich, besonders wenn man etwas zum ersten Mal erzählt. Aber bei Schwierigkeiten, die einen täglich begleiten und belasten, hilft es mir reines zuhören meistens nur wenig. Ich hab dann eher das Gefühl, jetzt bürde ich noch jemandem was auf, ohne dass damit irgendwem geholfen ist.

24.05.2021 14:56 • x 2 #6


ZeroOne
Zitat von Krizzly:
Ich wünsche mir oft schon, dass mir jemand eine Lösung präsentieren kann, auf die ich vielleicht selber noch nicht gekommen bin.


Ich wünsche mir auch oft, Alternativen aufgezeigt zu bekommen, einfach nur, um meinen Horizont zu erweitern und vielleicht in neue Richtungen denken zu können.

Für viele ist evtl. das Risiko in so einem Fall groß, dann dem Weg eines anderen zu folgen, der aber nicht der eigene ist, weil die eigenen Ansätze fehlen?

Allerdings habe ich auch schon sehr oft erlebt - insbesondere bei Gruppentherapie / SHGs - dass mehrere am Problem einer Person arbeiten und Lösungen anbieten, die Person selbst aber all diese Vorschläge schon lange zuvor für sich erdachte, ggf. ausprobierte und bereits als unpassend erlebt hat.

Schwierig...

LG
ZeroOne

24.05.2021 15:11 • x 2 #7


T
Zitat von Krizzly:
Findet ihr es wirklich so befreiend, einfach nur zu erzählen? Ich wünsche mir oft schon, dass mir jemand eine Lösung präsentieren kann, auf die ich vielleicht selber noch nicht gekommen bin. Und ich fühl mich in der Therapie eher allein gelassen, wenn sich der Therapeut nur meinen ganzen Mist anhört und ich dann ...


So gings mir in meiner ersten Therapie auch. Deswegen kann ich das gut verstehen. Dann kam irgendwann die Erleuchtung, klingt blöd, war aber fast so.
Die Therapie ist wesentlich effektiver, wenn man sich die Lösungen selbst erarbeitet. Das merkt man zum Beispiel schon dann, wenn man den hundertsten Ratgeber gelesen hat, und sich doch nichts ändert. Tipps perlen an mir irgendwie ab.
Außerdem nimmt ein guter Therapeut durch aktives Zuhören viel negative Energie von einem weg.

Ich hatte allerdings mal einen, nur zwei Sitzungen lang, der hat mir genau eine halbe Stunde zugehört ohne irgendwas zu sagen, seinen Tee getrunken und ständig auf die Uhr geschaut. Da hätte ich alles auch einer Parkuhr erzählen können

24.05.2021 19:32 • x 4 #8


A


Hallo Träumer59,

x 4#9


E
lieber Träumer,

mit Handys und smartphone hat sich der Abstand zu entfernten Menschen verkürzt, aber der Abstand zum Gegenüber verlängert. (Andrea May)

nein ich bin nicht gegen neue Techniken. Aber wie alles im Leben gibt es Vorteile, aber auch Nachteile....................

Alles hat seine Zeit, Reden hat seine Zeit, aber auch einem Menschen zuhören können hat seine Zeit. Sofort und zu schnell reden, ohne zu hören.......Dann werden gute Rat...schläge oft zu Schlägen..........

Auf ein geschäftliches e-mail zu antworten, ist etwas anderes, als einem Menschen mit Gefühlen zu antworten..............

Um einen Menschen irgendwie verstehen zu können, muss ich erst einmal hören. Auch einmal hinter die Worte hören.......

Ja, ich vergesse das auch immer wieder. Noch während der andere Mensch redet, warte ich darauf, meinen eigenen

Beitrag einzubringen............Schon am Geschtsausdruck erkennst du, ob dein Gegenüber überhaupt anwesend ist, oder

nicht..........

Aber wie schön ist es für mich, für uns, wenn ein Mensch Gehör findet, sich für mich echt interessiert. Was in unserem Alltag leider nicht so oft vorkommt.

Wenn ein Mensch bei mir ist, und nicht in Gedanken woanders. Viele unserer Beziehungen zerbrechen, weil wir uns nicht mehr zu hören.............

Oder wenn wir nicht mehr merken, das ein Mensch uns nicht die Wahrheit sagt. Oft überhören wir solche Signale.

Weil unserer Welt auch immer lauter wird, Smartphone, die ganzen Medien, Fernseher, Radio.......................

oft können wir ohne diese Lärmkulisse gar nicht mehr leben.

Aber auch auf meine Gefühle, und auf die Gefühle des anderen Menschen hören.

Einfach mal einem Menschen zu hören, ohne gleich meine Meinung dazu sagen müssen, ohne diesen Menschen

gleich verändern zu wollen............................

Auch im Gespräch auf meine Gefühle achten, sie äußern, darüber gemeinsam reden...


liebe Grüße,

Frederick

24.05.2021 19:59 • x 3 #9