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Trauma Verschickungskinder

Heideblümchen
Zitat von Liselotte:
Traumatisierend bedeutet jemanden wird eine Wunde zugefügt, diese Verletzung zieht Folgeschäden nach sich.

Ich benutze ganz bewusst das Wort traumatisierend im Zusammenhang mit meinen Erinnerungen an meine Verschickung damals. Diese Zeit hat einen extremen Einfluss auf mein späteres Leben genommen. Bereits kurz nach dieser Kur musste mich meine Mutter zu einem Psychologen bringen, weil ich plötzlich komische Bilder gemalt habe. Später habe ich nachts die Tapete von der Wand in meinem Kinderzimmer gerissen. Noch immer wird mir schlecht, wenn ich in ein kaltes Badezimmer komme, in dem es nach Zahnpasta riecht. Immerhin war ich mehrere Nächte hintereinander im Dunkeln im riesigen Gemeinschaftsbad der Kurklinik eingesperrt, mit seinen dunklen, bedrohlich wirkenden Kabinen, weil ich nachts vor lauter Heimweh geheult habe. Nach der Kur konnten mich meine Eltern nicht mehr allein lassen. Ich habe sofort angefangen zu schreien. Unter Verlustängsten leide ich noch heute. Ich würde heute auch nie alleine in ein Restaurant oder in ein Cafe gehen. Auf dem Präsentierteller zu sitzen wäre für mich undenkbar. Immerhin saß ich in der Kur stundenlang alleine vor einem Teller mit fettem, kaltem Fleisch und sollte das aufessen. Solche und weitere Erinnerungen aus der Zeit in Winterberg/Sauerland bezeichne ich für mich als Trauma.
Bei mir steht nächstes Jahr die erste psychosomatische Reha meines Lebens an. Ich werde also ca. 5 Wochen, von meiner Familie und vor allem von meinem Lebenspartner getrennt, fremden Menschen und einer für mich noch unbekannten Umgebung ausgesetzt sein. Schon jetzt der blanke Horror für mich, weil ich seit meinem 6. Lebensjahr nie irgendwo für längere Zeit allein war.
Danke euch, die ihr hier schon eure Erfahrungen und Erinnerungen mit mir geteilt habt.
Über die Facebook-Gruppen Verschickungskinder Deutschland und Kinderverschickung NRW (es gibt auch noch weitere Gruppen, aber mir reichen die 2 für meine Aufarbeitung) finden sich täglich mehr und mehr Gleichgesinnte ein, die ihre Erfahrungen (auch über WYK AUF FÖHR!) teilen.
Und vielleicht weckt mein Thema bei dem einen oder anderen noch weitere Erinnerungen (wobei ich hoffe, dass ich niemandem damit schade, sich daran zu erinnern).
Und um noch auf das Randthema der Zustände in so manchem Kindergarten oder einer ähnlichen Einrichtung für Kinder in der heutigen Zeit einzugehen: damals wurde sich an der schwarzen Pädagogik orientiert und die Erziehungsmethoden waren überwiegend für ALLE Verschickungskinder gleich, auch wenn sie diese Erziehungsmethoden unterschiedlich empfunden haben und heute entsprechend mehr oder weniger traumatisch empfinden. In der heutigen Zeit, da gebe ich den Vorredner/Innen Recht, dürfte ein schlechter Umgang mit Kindern eher in Richtung Einzelfall gehen. Wobei ich persönlich auch nicht verstehe, wie man ganz kleine Kinder schon in die Obhut von Fremden geben kann. Aber das ist ein anderes Thema.....

13.10.2021 11:08 • x 7 #31


Kate
Zitat von Heideblümchen:
auch über WYK AUF FÖHR!)

Vielleicht ist das doch das "Wieck" was ich meinte. Ich weiß nur ich war in Wyk/Wieck und habe gestern kurz gegoogelt wo das ist und Rügen wurde mir angezeigt.

13.10.2021 11:36 • #32


A


Hallo Heideblümchen,

Trauma Verschickungskinder

x 3#3


Liselotte
Die Fremdbetreuung vor dem 3.Lebensjahr ist wirklich ein spezielles Thema. Ich möchte nur hier das Thema von Heide Blümchen nicht verwässern. Es geht ja um entstandene traumatisierende Erfahrungen bei der Kinderverschickung.

13.10.2021 12:06 • x 3 #33


Marylu
Hallo @Träumer59, ich arbeite in einer Kita, in der Kinder ab einem Jahr aufgenommen werden, aus dem einfachen Grund, weil beide Eltern arbeiten müssen.Über deinen Kommentar habe ich mich sehr geärgert. Du verurteilt Menschen, ohne Genaueres über sie zu wissen. Für jedes Eingewöhnungskind und ihre Eltern steht eine liebevolle Erzieherin zur Verfügung, die sich mit sehr viel Geduld und Zeit jeder einzelnen Familie widmet. Ein paar Tränen gehören meistens dazu, finde ich aber nicht schlimm. Es ist ja auch ein großer Schritt. Bitte überdenke deine Aussage noch einmal. LG.

13.10.2021 13:15 • x 6 #34


T
Zitat von Marylu:
Ein paar Tränen gehören meistens dazu, finde ich aber nicht schlimm. Es ist ja auch ein großer Schritt.

Da gibt es nichts zu überdenken. Selbst erlebt bei eigenem Kind und anderen. Dazu gibt es auch Studien, die von so früher Fremdbetreuung abraten.
Mit deinem statement wertest du die Tränen der Kinder ab! Denkst du die weinen, weil sie Langeweile haben? Vielleicht sollten Kitas ihr pädagogisches Konzept einmal überdenken.

13.10.2021 14:07 • x 4 #35


T
Da werden heute noch Kleinkinder in einem Raum separiert, weil sie schreien. Meistens kriegen Eltern oder gar die Leitung davon gar nichts mit.
Oder warum z.B. dürfen Eltern nur nach vorheriger Anmeldung hospitieren? Da gibt es so viel was schief läuft. Die Kleinen können sich nicht beschweren, und den Eltern wird eingeredet, eine Eingewöhningsphase sei normal. Ein Kind mit 2 oder 3 will Mutter oder Vater, sonst nichts!

13.10.2021 14:15 • x 2 #36


Liselotte
Auch ich war mal so ein Verschickungskind. Aber da ich schon traumatisiert dort eintraf, fehlt mir fast jegliche Erinnerung an den Aufenthalt. Ich hatte während der Zeit, dort eine sehr schmerzhafte Mittelohrentzündung und wurde wegen Unterernährung dort hin versandt. Ich glaube mich zu erinnern, dass der Ort im Schwarzwald war. 1970 ca. Es war mir nicht bewusst, welche Ausmasse diese Verschickungsindustrie bis in die 80er angenommen hat.

13.10.2021 14:58 • x 2 #37


O
Hallo!

Also ich würde mal behaupten, dass das zugrundeliegende pädagogische Konzept heute nicht mehr vergleichbar mit jenem der Nachkriegszeit bis in die 70er-Jahre ist.

Über die heute sehr individuelle Gestaltung des Familienlebens, der Arbeitsteilung und der Notwendigkeit externer Kinderbetreuung lässt sich bestimmt diskutieren.

Allerdings, denke ich, dass es in diesem Thema mit dem Titel der Traumatisierung der Verschickungskinder nicht um solche Diskussionen gehen sollte.

Ich habe mich interessehalber mit diesem Thema jetzt etwas auseinander gesetzt und es ist ganz klar, was damit gemeint ist. Ich bin erschüttert, dass es sowas in dem großen Ausmaß gegeben hat! Und mein Respekt und Mitgefühl gilt all jenen, die derartiges erleben mussten.

Ich hoffe, dass dieses Thema ernsthaft aufgearbeitet wird, dass darüber gesprochen und berichtet wird. Dass den Opfern zumindest ein Quäntchen ihrer Selbstachtung zurückgegeben wird. Ich bin sprachlos!

13.10.2021 15:05 • x 6 #38


Liselotte
Zitat von ohneFunktion:
Hallo! Also ich würde mal behaupten, dass das zugrundeliegende pädagogische Konzept heute nicht mehr vergleichbar mit jenem der Nachkriegszeit bis in die 70er-Jahre ist. Über die heute sehr individuelle Gestaltung des Familienlebens, der Arbeitsteilung und der Notwendigkeit externer Kinderbetreuung lässt sich ...

ich möchte mich gerne Deinen Worten anschließen.

Als Betroffene von schweren Traumatisierungen ist mir eindeutig klar, dass eine Anerkennung durch die zuständigen verantwortlichen Stellen erfolgen muss. Dieses ist der erste Schritt um Opfern eine Aufarbeitung des Geschehenen zu ermöglichen.

13.10.2021 15:20 • x 2 #39


Kate
Zitat von Liselotte:
dass eine Anerkennung durch die zuständigen verantwortlichen Stellen erfolgen muss

Die wirst Du heute leider kaum noch bekommen. Die bekommst Du nicht aus der Familie oder sonst wo her. Das ist leider oftmals ein Fakt mit dem man leben muss.

13.10.2021 15:45 • x 3 #40


111Sternchen222
@Träumer59 und trotzdem kannst du nicht alle Einrichtungen über einen Kamm Scheren. Unsere Krippe im Haus gewöhnt nach dem Berliner Eingewöhnungsmodell ein kann so eine Eingewöhnung auch schon mal von August bis Oktober dauern, weil die Kinder ihre Mum oder Dad dabei haben und selber entscheiden wie lange sie diese auch brauchen. Oft sind es da leider die Eltern die dann irgendwann keinen Nerv mehr haben und lieber kurz und Schmerzlos wünschen aber da sind sie bei uns an der falschen Adresse. Das Kind bestimmt das Tempo.

13.10.2021 16:16 • x 6 #41


Marylu
Hallo @Träumer59, du kannst doch nicht alle Einrichtungen über einen Kamm scheren. Sicher ist die Tradition in Ost und West auch unterschiedlich. Im Osten haben viele Familien gar nicht die Möglichkeit ihre Kinder länger zu Hause zu lassen, weil sie Geld verdienen müssen. Man kann das niemals pauschal beurteilen. Für beide Möglichkeiten gibt es Studien. Weder die einen noch die anderen Kinder haben prinzipiell bessere oder schlechtere Chancen im Leben. Doch anscheinend hast du mit deinen Kindern schlechte Erfahrungen gemacht und schließt nun auf alle. In unsere Kita kannst du jederzeit herein marschieren und dich von der Arbeit überzeugen. LG.

13.10.2021 17:18 • x 4 #42


Liselotte
Hallo Sternchen,
bei diesem doch viele Menschen belastenden Thema freue ich mich sehr, dass es bei Euch so wunderbar läuft mit dem Berliner Modell. Auch ich bin Erzieherin und habe diese außerordentliche verantwortungsvolle und oft wenig honorierte Beruf(ung) trotz wissentlich erkannter eigener schwerer Traumatisierung ergriffen.

13.10.2021 17:30 • x 1 #43


Marylu
Liebe Lieselotte, da sind wir schon drei. Bei uns läuft die Eingewöhnung auf CH nach dem Berliner Modell. Arbeitest du in der Kita? LG.

13.10.2021 17:38 • #44


Liselotte
Nein, momentan nicht, betreue gerade einen schwerst körperlich behinderten Mann und habe über den Fonds für S.. Missbrauch in der Familie vom Bundesministerium eine Ausbildung zur Genesungsbegleiterin finanziert bekommen. Ab November beginnt dann mein 1.Praktikum in einer großen Einrichtung für traumatisierte und von Wohnungsnot bedrohten Frauen. Ich werde im Januar 60 und will gerne mit Erwachsenen arbeiten.

13.10.2021 17:53 • x 2 #45


Marylu
Liebe Liselotte, das klingt interessant, aber auch sehr schwer. Alles Gute dir. LG.

13.10.2021 19:01 • x 1 #46


Liselotte
Zitat von Marylu:
Liebe Liselotte, das klingt interessant, aber auch sehr schwer. Alles Gute dir. LG.

Es macht mir Sinn. Das Gute nehme ich gerne mit offenen Händen und offenen Herzen. L. G.

13.10.2021 21:34 • x 1 #47


Alexandra2
Auch ich wurde verschickt, mit 4 Jahren nach Westerland/ Sylt. Das war der einzige Ort, an dem ich mich wohl fühlte, wo auf Kinder eingegangen wurde. Das war eine völlig andere Situation als zu Hause. Alle Orte an denen Kinder Gewalt erfahren sind grausam. Und ich wünsche mir inständig, daß Menschen hinsehen, was wo geschieht und den Mut haben, sich einzumischen, wenn sie Schwierigkeiten vermuten.
Die Traumatisierung ist eine schreckliche Erfahrung, für mich war das ständige Ausgeliefertsein und all der zugehörige Schmerz das Allerschlimmste. Meine Depression begann im Alter von 3 Jahren und kein Arzt, Lehrer oder anderer Erwachsener hat nachgefragt, was zu Hause los war.
Es ist gut, daß heutzutage darüber gesprochen werden kann und daß es Hilfe gibt

15.10.2021 09:31 • x 10 #48


Kate
Zitat von Alexandra2:
Westerland/ Sylt.

Dort gibt es heute noch eine Mutter Kind Kureinrichtung. Dort ist es wirklich schön. Mit damals aber mit Sicherheit nicht zu vergleichen.

15.10.2021 09:42 • x 2 #49


Alexandra2
Liebe @Kate, wo steht es denn? Ich habe noch einen Brief und Fotos aus der Zeit

15.10.2021 09:55 • x 1 #50


Kate
Zitat von Alexandra2:
Liebe @Kate, wo steht es denn? Ich habe noch einen Brief und Fotos aus der Zeit

Am oberen Rand von Westerland, wenn Du die Strandpromenade langläufst, kommst Du genau daran vorbei. Ein schönes Gebäude.

15.10.2021 11:23 • x 1 #51


Heideblümchen
@Alexandra2 ... ich hoffe, der Link funktioniert.....

www.facebook.com/groups/verschickungski...0659155131

15.10.2021 12:31 • #52


Alexandra2
Liebe @Kate und liebes Heideblümchen, vielen Dank für die Infos, ich habe ein Haus gefunden, das ggf abgerissen wurde und versuche das Foto in die Galerie zu stellen, liebe Grüße

15.10.2021 18:35 • x 2 #53


Heideblümchen
Guten Morgen, ihr Lieben,

ich würde das Thema gerne nochmals nach oben schieben, vielleicht findet sich noch jemand, der was dazu schreiben möchte oder den es betrifft. Euch allen einen schönen Tag (ab morgen soll es warm und stürmisch werden! - typischer Altweibersommer eben )

19.10.2021 10:59 • x 2 #54


Heideblümchen
Für alle, die sich für das Thema interessieren: morgen Abend (Mitwoch, 27.10.) um 21 Uhr kommt eine Reportage im NDR mit dem Titel: Unsere Geschichte. Was ist damals passiert? Meine Kinderverschickung.
Ich wünsche euch allen einen entspannten Tag.

26.10.2021 09:25 • x 3 #55


Marylu
Das habe ich auch gelesen, schaue es dann in der Mediathek, ist bestimmt sehr interessant. LG.

26.10.2021 13:27 • x 1 #56


A
Zitat von Marylu:
schaue es dann in der Mediathek,

Ich kanns auch nur in der Mediathek schauen, mache es aber ganz bestimmt, da mich das Thema interessiert.
Danke für den Tipp!

26.10.2021 13:57 • x 1 #57


Glitzerkeks
Auch ich bin "verschickt" worden. Mit 5 Jahren nach St Peter Ording. Ich habe dort schlimmes erlebt und wurde schwer traumatisiert. Zum Essen gezwungen, eingesperrt, missbraucht und mit Medikamenten ruhig gestellt….All das hat schlimme Spuren bei mir hinterlassen, die ich aufzuarbeiten versuche.
Trotzdem oder gerade deswegen arbeite ich als Erzieherin in einer Kinderkrippe. Denn dort geschieht den Kindern keine Gewalt. Sie sind behütet und gut versorgt, solange ihre Eltern den Lebensunterhalt verdienen müssen.
Ich bin entsetzt über den grundsätzlichen Vergleich hier heutiger Kinderbetreuung und der damaligen gängigen Praxis der Kinderverschickung und der Schwarzen Pädagogik.

12.02.2022 10:31 • x 3 #58


A


Hallo Heideblümchen,

x 4#29


S
Hallo Heideblümchen, ich bin erst heute auf deinen Beitrag gestoßen.
Ich gehöre auch zu den Verschickungskindern der 60er Jahre. Ich wurde mit 4 Jahren zur Kur verschickt. Für wie lange weiß ich nicht mehr.
Als ich im letzten Jahr gesundheitliche Probleme bekam, kamen plötzlich auch Erinnerungen hoch, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich sie habe. Diese Erinnerungen an diese Zeit vor über 50 Jahren haben bei mir zu richtigen Panikattacken geführt. Es ist so schlimm geworden, dass ich mir inzwischen professionelle Hilfe geholt habe.
Die Berichte, die ich hier gelesen habe, haben mich tief getroffen, denn sie spiegeln auch meine - inzwischen immer mal wieder aufflackernden - Erinnerungen wieder. Alles... die Situatin beim schlafen, beim Essen, bei Fehlverhalten . Das alles hat mich jetzt dazu gebracht, dass ich mein Leben in der gewohnten Form nicht mehr führen kann, durch Ängste und Depressionen. Es erklärt auch absonderliche Verhaltensweisen in der Vergangenheit. Es ist nicht gerade beruhigend, dass das (hoffentlich) gut gemeinte unserer Eltern, zu solchen Schäden bei uns geführt hat.

05.05.2023 16:02 • x 1 #59

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