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Selbstentfaltung in Sozialer Ungerechtigkeit

maya60
Ich eröffne hier mal ein Neues Thema, weil wir beim Diskutieren im Nachbarthema FrauenMänner sind toll immer wieder drauf stoßen, wie sehr das alles mit dem Thema der Sozialen Gerechtigkeitsfrage zusammenhängt, aber nicht dahinter versteckt werden darf.

Umgekehrt aber auch nicht! Zu oft werden die Geschlechter aufeinander gehetzt, damit niemand merkt, wie sozial ungerecht etwas ist in politischen Diskussionen.

Soviel beides auch ineinanderspielt, hat jedes dieser Themen einen eigenen Fokus dringend nötig,

Und es geht auch nicht um Politik, das wäre ja gar nicht im Geiste des Forums.

Bei beiden Themen hier in unserem Depriforum geht es uns aber um unsere Selbstentfaltung, die wir in unsrem Leben meist in zu vielen Jahren gar nicht leben konnten, bis es uns krank machte, viel zu selten oder gar nicht wir selber sein zu können bzw. dadurch gar nicht mal so richtig zu wissen, wer wir selber sind.

Beim Thema der Geschlechtergerechtigkeit geht es da genauso zentral wie um Soziale Gerechtigkeit um die Gerechtigkeit der Aufgabenverteilung (z.B. in der unbezahlten Carearbeit) und der Gerechtigkeit der Teilhabe und Lebenschancen in Beruf und Familie.

Hier beim Thema Selbstentfaltung in Sozialer Ungerechtigkeit geht es mittlerweile nun 2022 längst um die Power beider Geschlechter, wenn sie so prekär leben, dass zum finanziellen Überleben plus Tagespflichten unbezahlter Art soviel Tageszeit drauf geht, dass an Selbstentfaltung gar nicht zu denken ist oder nur in ständiger Existenzangst.

Was haben wir da in unserem Leben, das uns ja irgendwann krank machte, erlebt und was erleben wir da noch?

Die leuchtenden Wohlstandsjahre nach dem Krieg sind vergangen, aber sowieso hatte sie niemand ein ganzes Leben lang, sondern nur entweder beim Aufwachsen oder nach einer im Krieg verlorenen Jugend, bevor sie dann auch schon wieder vorbei waren und die heutige Rente nicht mehr sicher ist oder man hatte durch die Wohlstandsjahre ein goldenes Alter nach einem harten Leben mit 2 Weltkriegen.

Wie leben, handeln und denken wir Foris jetzt und heute unsere zu unserer Gesundheit wichtige Selbstentfaltung vor dem Hintergrund der Sozialen Ungerechtigkeit?

26.01.2022 18:14 • x 2 #1


maya60
Fang ich mal direkt an. Ich habe bisjetzt mein Leben lang nicht in sozialer Not gelebt. Hätte es aber nicht dieses kurze Fenster der Wohlstandszeiten in meiner Kindheit und Jugend gegeben, sähe das vielleicht ganz anders aus.

Denn mein Hypievater war die ganze Woche geschäftlich unterwegs und lebte als Landmaschinenagent ein lockeres außerhäusiges Genussleben, ohne genug Geld mit nachhause zu bringen.
Hätte es da nicht Bafög gegeben, hätten so seine Töchter gar nicht das erringen können, was er hatte, Abitur und Studium.
Meine Mutter, die viel leistungsstärker und ausdauernder war als mein Vater, war selber von ihrem Vater nach der Mittleren Reife vom Gymnasium genommen worden, um arbeiten zu gehen und ihm das Schulgeld einzusparen.

Nach der Heirat war sie per Gesetz für die 4 Kinder zuständig, es sei denn, ihr Mann erlaubte es ihr, zu arbeiten.

So sehr bestimmte der Soziale Status der Familie die Bildungschancen ihrer Kinder, nur mal kurze Zeit in den Wohlstandszeiten nicht.

Wir hatten und haben ein anderes soziales Dilemma: Wir sind viel zu viele als die Babyboomer.

Nach meinem Studium nutzte mir nicht mal mein sehr gutes Examen, eine gut besoldete und sichere Karrierelaufbahn an der Uni zu verfolgen. Wir waren zu viele! Oh, einen glatten Einserabschluss hatte außer mir niemand in dem Jahr, aber in der Konkurrenz mit so 3 anderen mit fast glattem Einserabschluss spielten dann doch die Beziehungen eine größere Rolle.

So wurden viele Doktoren meines Alters dann Taxifahrer oder sitzen noch heute kurz vor der Rente auf einer langen Reihe von lauter befristeten Schleudersitzverträgen.

Ganze Jahrgänge meiner Generation hatten in ihrer Fächerkombi trotz bester Noten keine Chance auf den Schuldienst als LehrerInnen und danach kamen dann in Mangelzeiten Quereinsteiger mit anderen Fächern und deutlich schlechteren Noten herein.

Nun begannen die beruflichen Mobilitätszeiten und dass 50 % der Akademikerinnen meiner Generation kinderlos blieben, lag auch an ewigen Fernbeziehungen.

Überall waren und sind wir zu viele, was gleich den Preis durchtrieben. Nun sind wir bald RentnerInnen und schon sinkt die Rente!

Dass mein 10 Jahre jüngerer Mann schon seit Jahrzehnten bei derselben Firma arbeitet, ist ein selten gewordenes Glück!

26.01.2022 18:36 • x 2 #2


A


Hallo maya60,

Selbstentfaltung in Sozialer Ungerechtigkeit

x 3#3


Sebastian96
Hallo liebe Leute,

also ich hatte nach der Schule und dem Auszug aus dem Elternhaus oft eine soziale Notlage.

Ich musste von meinen Ausbildungsgehalt die Miete mein Auto und sonst alles bezahlen. Zuschüsse habe ich nicht vom Amt bekommen, da ich angeblich über eine gewisse Grenze drüber war.

Hab c. a 700 Euro gehabt.
Bei meinen Eltern wollte ich nicht wohnen bleiben, da es viel Stress gegeben hat.
Die Ausbildung musste ich abbrechen aufgrund von Depressionen und Magersucht.

Joar mit dem Geld von der Rente komme ich halbwegs zurecht. Wäre natürlich mal schön zu erfahren wie es sich mit weniger Geldsorgen lebt

Lg

Sebastian

26.01.2022 19:32 • x 1 #3


djamila
Selbstentfaltung schönes Wort.
Ich habe nie darüber nachgedacht ,da ich lange im Überlebensmodus gelebt habe.
Dieses Jahr wird wieder hart , weil ich in der zweiten Jahreshälfte den Verlängerungs Antrag für meine EU Rente einreichen muss.
Damit meine Finanzielle Existenz gesichert bleibt.
Und das in dieser Zeit. Aber auch das werde ich schaffen. Denn ich will leben. Und werde dafür beten , daß ich dieses Mal die unbefristete EU Rente bekomme.
Denn dann komme ich wirklich erst zur Ruhe.
Und vielleicht gibt es dann auch Zeit für Entfaltung. Lächel

26.01.2022 20:26 • x 4 #4


maya60
Zitat von Sebastian96:
also ich hatte nach der Schule und dem Auszug aus dem Elternhaus oft eine soziale Notlage.


Zitat von djamila:
Selbstentfaltung schönes Wort.
Ich habe nie darüber nachgedacht ,da ich lange im Überlebensmodus gelebt habe.


So sieht‘s nämlich aus. Durch Armut, durch Krankheit, durch Traumatische Altlasten, durch alles zusammen geht‘s Jahr um Jahr um Jahrzehnt oft genug mal zuerst um‘s Überleben und alles andere findet nicht statt.

Ohne Selbstentfaltung kann man nicht gesund leben?
Nö, das ist Luxus und einer viel zu weit weg vom Leben der meisten Menschen auf dieser Welt.

Da heißt es ganz "schlicht": Erstmal überleben!

26.01.2022 21:56 • x 1 #5


maya60
Ich denke an das Jahr 2000, als unser Sohn geboren wurde. Wir waren so gut vorbereitet. Wir waren seit Jahren ein Paar, seit einigen Jahren verheiratet, beide beruflich fest im Sattel, wir waren DINKS (Double Income, No Kids), unsere Beziehung war stabil, voller Freude und Partnerschaft, wir arbeiten das, was uns möglich war mit trotzdem intensiven Privatleben.
In Beziehungen, guten jahrelangen Beziehungen, war ich seit meiner frühen Jugendzeit erfahren, die ich immer nur beendete, weil unsere Lebenspläne nicht mehr zusammen passten in Sachen Ort oder Heirat oder Familiengründung oder Liebesaus.

In meiner Jugendzeit also und in meiner Studizeit und als junge Berufstätige zwischen 25 und 40 Jahren habe ich also voll die neuen befreiten Zeiten für Frauen und Männer gleichberechtigt gelebt und doch innerlich auch noch viele dazu gar nicht passenden Idealidyllfamilienbilder verfolgt, die in meiner patriarchalischen Kindheit geprägt wurden.

Dennoch, auch an der Uni gab es noch soviel Frauenmissachtung im Alltag von den Dozenten, Professoren in Wort, Anmache und missachtender Tat, die heute gleich angezeigt würde.
Aber dennoch setzte ich durch, was mir wichtig war. Das ging.

Aus Krankheitsgründen schaffte ich das Arbeiten nach meiner Heirat ja nur halbtags. Da ich aber am Tage mindestens 2 Stunden insgesamt an Fahrtweg hatte und so auch noch auf dem Heimweg Einkaufsstop auf Münchens Frischemärkten machen konnte, um abds frisch zu kochen, summierte sich meine Tätigkeit doch auf deutlich mehr, die unbezahlte Carearbeit mitgerechnet und all die Besucherströme aus 2 Großfamilien, die zwischen Biergartensaison und Christkindlmärkten München immer lange im Jahr eine Reise wert fanden.

Mit meinem heutigen Wissen hätte ich alles außer meiner Halbtagsarbeit und dem, was ich dann noch locker und gerne hinkriegte und mein überreiztes ADHS-Inneres nicht als Stress verbuchte, seinlassen müssen und hätte privat keine Aufgabe mehr dazunehmen dürfen, sondern den ganzjährigen Gastbetrieb beenden müssen.
Aber das wussten ja weder ich noch mein Mann noch irgendwer sonst, meine Diagnosen hatte ich noch lange nicht.

Damals fühlte ich mich aber trotz schwerem Dauerüberreizungsstress und depressiver Episoden zwischen diesen Episoden gesund, was gar nicht stimmte im Nachhinein.
Und dennoch wusste ich, dass wir ein sozial gutes Leben hatten und wusste um unsere Privilegien. Dass ich mehr im Haushalt machte, weil mein Mann einfach unterwegs machte, war aber nicht mehr als mir Spaß machte, denn damals hatten wir auch noch eine Reinigungs- und Bügelfrau.

Wäre ich nicht so stressanfällig gewesen, wofür weder mein Mann und ich einen Namen hatten, aber was wir als Fakt mit einrechnen mussten, weil ich sonst eine depressive Episode bekam, wäre ich sicherlich noch an der Uni und gar nicht mit meinem Mann zusammen an einen anderen Ort gezogen.

Bis dahin bestimmten also neben den Chancen, die mir die Wohlstandsjahre präsentiert hatten, am meisten meine unbekannten Belastungsgrenzen, wo und wie ich Geld verdiente, das ist glasklar. Das war nicht Geschlechterfrage, das war keine Soziale Frage, das waren meine damals unbekannten Diagnosen.

Als also unser Sohn zu uns kam, hatten wir also auch sozial beste Vorraussetzungen! Krankheitsbedingt war aber das, was folgte, der Wahnsinn, aber m e i n Wahnsinnsleben und ich bereue es nicht.

DACHTEN WIR!

Dass das Jugendamt nur einer Adoption unseres Sohnes zustimmte, wenn einer von uns, also ich, denn mein Mann verdiente sehr gut, 3 Jahre daheim blieb, hatten wir auch mit eingerechnet und konnten wir uns leisten.

Göga war so sicher in seiner boomenden IT-Branche im Sattel, dass er auch davon ausging, in der Mischung von Homeoffice und Anwesenheit viel vom Aufwachsen unseres Sohnes mitzubekommen und mitzugestalten.

Und dann kurz nach unserer glücklichen Adoption war schon klar, dass Sohni ein Turbokind war mit dem Anstrengungsfaktor von 4 Kleinkindern wie meine Schwiegermutter, Ärztin und Mutter von 4 Kindern, mir bestätigte und gleichzeitig brach die IT-Blase zusammen!

Göga wurde sogar einige Monate arbeitslos! Das war zwar für unsere kleine Familie eine gemeinsam genossene Zeit, weil wir auch da keine Geldsorgen hatten und auch klar war, dass Göga wieder einen guten Job finden würde.

Aber ab da war es bis heute vorbei mit dem Goldrausch und viel Freizeit trotzdem!

Es gab seitdem gar keine festen Arbeitszeiten mehr. Es gibt Nachtarbeit, lange, kurze und richtig lange Geschäftsreisen. Urlaub ohne Arbeit gibt es nicht.

Aber wir haben uns gemeinsam dafür entschieden, um unsere Familie für jetzt und in Zukunft soweit möglich abzusichern inklusive Sohnis Zukunft ohne uns mit all seinen Betreuungsbedürfnissen. Und ich bin im Falle einer Scheidung nicht finanziell benachteiligt, das sichern wir ab.

Und mein Mann liebt seinen Job und hat da mit behindertem Sohn und kranker Frau seinen Austobeplatz unter Gesunden!

Weil er aber so unplanbare Arbeitszeiten hat und hatte, kamen zu vielen ungedachten Tages- und Nachtzeiten dann immer Stunden zusammen, in denen er Sohni doch übernahm. Und er tat das auch und liebte Sohni.

Nur hatten weder er noch ich gedacht, wie sehr sich die Arbeitswelt ab unserer Elternschaft verändern würde, so dass ich die Hauptarbeit mit allen Behinderungen und Förderungen und Arztlaufereien und Nervenaussagereien plus die Gastlawinen, die sich mit Enkel noch verlängerten, doch alleine viel zuviel hatte.

Krankheiten von mir und Behinderung von Sohni und völlig veränderter Arbeitsmarkt schaukelten sich so auf, dass ich nach 6 Jahren anfangen musste, dauerhaft Antidepressiva einzunehmen und Psychotherapien zu machen und Selbsthilfe und was nicht alles.

Dann schaukelte die in Notzeiten besonders krass werdende patriarchalische Ungerechtigkeit bis in kleinste Alltagdinge sich so auf, dass mein Mann und ich beide für sich in einen Tunnelblick der Geschlechterkonfrontation gerieten, dabei hatte niemand von uns was falsch gemacht, sondern wir hatten nur vieles gar nicht gewusst.

Die ist keine Beschwerde und kein Klagen, dies ist Leben. Und ich kenne meine Privilegien.

Aber mal beschrieben aus der sozialen Warte der Arbeitswelt, die sich so schnell komplett ändern kann.

27.01.2022 17:09 • x 2 #6


Oli
Hey!
Danke für den Thread!

Du schreibst in der Eröffnung, dass es hier nicht um Politik gehen solle. Kannst Du das noch etwas genauer sagen, bevor ich hier in den Fettnapf trete?

Für mich hängt die Frage nach Selbstentfaltung in sozialer Gerechtigkeit recht eng mit dem politischen Willen im Land zu tun.

Grüße!

31.01.2022 09:01 • x 1 #7


maya60
Zitat von Oli:
Du schreibst in der Eröffnung, dass es hier nicht um Politik gehen solle. Kannst Du das noch etwas genauer sagen, bevor ich hier in den Fettnapf trete?

Forenregeln, nicht über Politik zu schreiben, da das so gut wie immer in Streit ausartet, vielmehr soll es hier um unsere persönlichen Situationen gehen, die was mit unserer Depri zu tun haben im Guten wie im Schlechten.

Also kann man z.B. über seine eigenen belastenden Existenzängste oder Stress in 3 Jobs schreiben, aber nicht Politikschimpfe, wo man dann auch alles auf andere schiebt statt dass es um das geht, was die eigene Situation besser machen kann.

Wenn du von der sozialen Kluft in D schreiben würdest und den Stress dadurch, den du hast, dann ist das was anderes als Politikschimpfe, die dann schnell andere reizt, weil Politik wie Religion eben so Reizthemen sind.

31.01.2022 11:33 • x 1 #8


Oli
Tricky.
Ob ich das wohl hinkriege auseinanderzuhalten? Bin gespannt.

31.01.2022 15:32 • #9


Krizzly
Ich muss auch sagen, so gut ich dieses Thema hier finde, ich finde es auch schwierig, die Politik außen vor zu lassen.

Ich bin an meinem derzeitigen Arbeitsplatz extrem unterbezahlt nach meinem Empfinden. In einer Diskussion mit einem Kollegen vor kurzem hat er einen interessanten, wenn auch deprimierenden Gedanken geäußert: Im Oktober kommt ja nun die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, meinte er. Wie der Chef es dann wohl rechtfertigen wird, dass wir jetzt ziemlich genauso viel kriegen, wie die Frau, die die Toiletten putzt. Er wollte damit absolut nicht unsere wahnsinnig liebe Putzfrau schlecht machen, sondern nur darauf hinweisen, dass unsere Bezahlung einfach unterirdisch ist. Ich habe, wie meine Kollegen auch, studiert und eine Ausbildung gemacht und bekomme jetzt gerade genug für Essen und ein Dach über dem Kopf. Und das wohlgemerkt für 40-60 Stunden Arbeit in der Woche. Das empfinde ich als ungerecht, das empfinde ich auch als Fehlen jeglicher Wertschätzung. Und die Gleichgültigkeit, mit der darauf reagiert wird, wenn man das anspricht, schockiert mich manchmal. Jeder ist ersetzbar, du kannst jederzeit gehen, heißt es dann. Und dabei schwingt ein find erstmal was anderes mit.
Da mein Freund im selben Laden arbeitet, können wir uns in vielerlei Hinsicht nicht entfalten. Ich kann nicht die Welt anschauen, wie ich es gerne würde, er kann kein Haus bauen, wie er es immer wollte, wir überlegen immer wieder mal, ob wir uns Kinder überhaupt leisten könnten in der Zukunft. Wir beobachten, wie die Leute um uns herum im selben Alter sich entwickeln und es ist wirklich schwierig manchmal, sich nicht zu vergleichen. Wobei ein Ungerechtigkeitgefühl wohl ohnehin immer aus vergleichen heraus entsteht und das vielleicht manchmal notwendig ist, um überhaupt was verändern zu können.

So, jetzt ging es zumindest nur ganz kurz mal um Politik. Zur Veranschaulichung

Zitat von maya60:
Also kann man z.B. über seine eigenen belastenden Existenzängste oder Stress in 3 Jobs schreiben, aber nicht Politikschimpfe, wo man dann auch alles auf andere schiebt statt dass es um das geht, was die eigene Situation besser machen kann.

Ich fürchte, genau das hab ich hier jetzt falsch gemacht. Leider fällt mir nicht viel mehr zur Verbesserung meiner Situation ein, als die Augen offen zu halten und mich immer wieder zu bewerben, wenn in diesem Bereich überhaupt mal jemand gesucht wird. Bzw auch auf fachfremde Stellen, wenn ich meine, die Qualifikation dafür trotzdem irgendwie mitzubringen.

31.01.2022 16:53 • x 2 #10


maya60
Also, es ist nur eine Gratwanderung, glaube ich, @Krizzly .
Jeder weiß, was hier falsch in der Berufswelt läuft, wenn wir Berichte wie deine lesen. Da klingt auch genug Politikversagen mit. Und Kritik und Ungerechtigkeit!

Der Unterschied zu Themen, die dann vor lauter Politik und Aggressionen geschlossen werden hier im Forum, die waren dann völlig losgelöst vom Zusammenhang zu sich selber, der eigenen Depression und dem eigenen Handeln eine bloße Wortschlacht z.B. gegen oder für Kapitalismus.

Genauso wie Religion peitschen dann solche Themen, wenn sie pauschal sind, total auf und nichts wird mehr hilfreich zur persönlichen Situation erzählt. Dann kommen immer Ideologischere Sachen und Verschwörungstheorien usw. Dann kommen Rundum-Systemablehnungen wie jetzt von Impfgegnern mit Fackelaufzügen.

Hab ich oft erlebt in Foren, manche schreiben dann nur über die Politik und nichts vom eigenen Leben.

Irgendwie so?

Was du geschrieben hast, finde ich passend für meinen Eindruck, wie diese Forenregeln gemeint sind.

Sowas ist ein Unding.

Diese Ungerechtigkeit, Menschen unter ihrer Leistung und Qualifikation zu bezahlen, hatte und hat noch heute besonders auch meine Generation der immer zu vielen Babyboomer betroffen, wo die Jobnachfrage den Preis drückte und Studium und sehr gute Qualifikationen viele in gute und sichere Jobs brachte und die andere Hälfte schaute zu.
Auf Parties saßen dann die frisch verbeamteten LehrerInnen neben den Taxifahrern mit selber Quali. Und oft arbeiten ja Paare in der gleichen Branche wie du und dein Freund auch.
Bei Freunden von mir war sie verbeamtet und er studierte zweimal, um als Lehrer arbeiten zu können und bekam dann einen Job viel später und viel schlechter bezahlt als Angestellter.
Das war dann zwar Luxusklagen in der Summe der Familieneinkünfte, aber Selbstwertrelevant war es doch sehr in der Berufsbiografie.

Was das für die ganzen Lebensentwürfe und Lebenschancen bedeutet, wie du es beschreibst, ist so ungerecht und schmerzlich. Familienplanung? Wie denn? Wie du schreibst! Altersvorsorge? Bildungschancen der Kinder?

Ich selber habe wegen Krankheit, schlechten Arbeitsverträgen und darum nur möglichen Halbzeitsjobs nie mehr als 1200 DM und dann entsprechend in Euro auf einer Verdienstabrechnung stehen gehabt.
Mit Verdienstträumen hatte das auch nie was zu tun. Und Krankheit hin und her, ja, sie ließ nicht mehr zu, bitter war es trotzdem.

Und nur reines Glück, dass Göga aus anderen Fächern kam. Und doch war das im Vergleich bitter, wenn auch Luxusdenke.

31.01.2022 17:39 • #11


Oli
Also, ich kann‘s ja leider nicht lassen, aber ich finde, dass der Titel des Themas sehr politisch ist.

***
Ich wurde mal von jemandem als "Schichtenspringer" bezeichnet, weil ich aus einem abiturlosen Elternhaus komme und nun einen Job habe, der eben ohne Abi nicht zu bekommen ist. Keine Ahnung, ob dieses Wort irgendwie soziologisch eingeführt ist oder eben von der Person seinerzeit aus der Luft gegriffen war. Aber tatsächlich konnten mir meine Eltern irgendwann nicht mehr weiterhelfen, weil ihnen die Erfahrungen, aber besonders auch die Beziehungen fehlten, die ein Studium und ein entsprechender Beruf mit sich bringen. Wie wichtig solche Beziehungen sind, habe ich mal erfahren, als ich eine Praktikumsplatz in einer
Fabrik nur deshalb bekam, weil meine ledige Tante für meine Mutter gehalten wurde. Und dabei ging es nur um ein Praktikum, das ich fürs Studium brauchte.
Da habe ich dann schon begriffen, dass es nicht wirklich nur auf die eigene Leistung ankommt - von wegen hocharbeiten. Es zählt alleine der Erfolg. Ein Freund von mir meint, das sei doch identisch. Naja. da würde es jetzt schon wieder politisch…

Aber, ehrlich gesagt, hat mir der Atem gestockt, als ich Deine Schilderung, @Krizzly, gelesen habe.
Es stellt sich mir die Frage, inwieweit es möglich ist - auch unter Ausschöpfung möglichst vieler Hilfsangebote, von Wohngeld bis BUT - ein Leben zu führen, bei dem Du Dich als wirksam für Deine Biografie siehst. In meinem Job gibt es beispielsweise Asisstenz-Kolleg*innen, die Menschen mit Beeinträchtigungen im Alltag begleiten. Dort wird in Anlehnung an TVH bezahlt bzw es gibt Zusatzleistungen. Diese Kolleg*innen verdienen - fachfremd - zB 14 Euro/Stunde. Sie haben die Möglichkeit, Qualifizierungsangebote wahrzunehmen, die dann einen höheren Stundenlohn mit sich bringen. Ebenso gibt es Aufstiegsmöglichkeiten. Einige dieser Kolleg*innen können trotz des geringen Einkommens ihrer Passion nachgehen und tun dies auch, beispielsweise als Künstler:in oder Freelancer weil der Job flexibel gestaltet werden kann.
Wenn mit 14 Jahren die Kinder keinen Hortplatz mehr haben, wird es für viele eng, wenn sie nicht teilzeit oder flexibel arbeiten können.
Mir ist klar, dass Du vermutlich selbst solche Möglichkeiten kennst. Dennoch schreibe ich das hier, weil ich für mich selbst immer wieder überlege, meinem eigenen Beruf den Rücken zu kehren, um vielleicht doch noch etwas gesünder zu werden. Das könnte mich dann allerdings in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen.

31.01.2022 20:19 • x 1 #12


Oli
Ersetze TVH durch TVöD.

31.01.2022 20:51 • #13


A


Hallo maya60,

x 4#14


Oli
Gibt es eigentlich sowas wie eine einigermaßen unabhängige Beratung, um herauszubekommen,‘wie Ihr finanziell dastehen würdet, wenn ihr ein Kind hättet?

Ich kenne das nur aus meinem Bereich, dass wir eine Sozialarbeiterin mit an Bord hatten, die sich mit Grundsicherung Co gut auskannte, weil das die jungen Erwachsenen bei uns häufig betraf.

Vielleicht gibt es ja bspw kirchliche Stellen, die eine Beratung für Eure Situation anbieten.

01.02.2022 09:17 • #14