Ich denke an das Jahr 2000, als unser Sohn geboren wurde. Wir waren so gut vorbereitet. Wir waren seit Jahren ein Paar, seit einigen Jahren verheiratet, beide beruflich fest im Sattel, wir waren DINKS (Double Income, No Kids), unsere Beziehung war stabil, voller Freude und Partnerschaft, wir arbeiten das, was uns möglich war mit trotzdem intensiven Privatleben.
In Beziehungen, guten jahrelangen Beziehungen, war ich seit meiner frühen Jugendzeit erfahren, die ich immer nur beendete, weil unsere Lebenspläne nicht mehr zusammen passten in Sachen Ort oder Heirat oder Familiengründung oder Liebesaus.
In meiner Jugendzeit also und in meiner Studizeit und als junge Berufstätige zwischen 25 und 40 Jahren habe ich also voll die neuen befreiten Zeiten für Frauen und Männer gleichberechtigt gelebt und doch innerlich auch noch viele dazu gar nicht passenden Idealidyllfamilienbilder verfolgt, die in meiner patriarchalischen Kindheit geprägt wurden.
Dennoch, auch an der Uni gab es noch soviel Frauenmissachtung im Alltag von den Dozenten, Professoren in Wort, Anmache und missachtender Tat, die heute gleich angezeigt würde.
Aber dennoch setzte ich durch, was mir wichtig war. Das ging.
Aus Krankheitsgründen schaffte ich das Arbeiten nach meiner Heirat ja nur halbtags. Da ich aber am Tage mindestens 2 Stunden insgesamt an Fahrtweg hatte und so auch noch auf dem Heimweg Einkaufsstop auf Münchens Frischemärkten machen konnte, um abds frisch zu kochen, summierte sich meine Tätigkeit doch auf deutlich mehr, die unbezahlte Carearbeit mitgerechnet und all die Besucherströme aus 2 Großfamilien, die zwischen Biergartensaison und Christkindlmärkten München immer lange im Jahr eine Reise wert fanden.
Mit meinem heutigen Wissen hätte ich alles außer meiner Halbtagsarbeit und dem, was ich dann noch locker und gerne hinkriegte und mein überreiztes ADHS-Inneres nicht als Stress verbuchte, seinlassen müssen und hätte privat keine Aufgabe mehr dazunehmen dürfen, sondern den ganzjährigen Gastbetrieb beenden müssen.
Aber das wussten ja weder ich noch mein Mann noch irgendwer sonst, meine Diagnosen hatte ich noch lange nicht.
Damals fühlte ich mich aber trotz schwerem Dauerüberreizungsstress und depressiver Episoden zwischen diesen Episoden gesund, was gar nicht stimmte im Nachhinein.
Und dennoch wusste ich, dass wir ein sozial gutes Leben hatten und wusste um unsere Privilegien. Dass ich mehr im Haushalt machte, weil mein Mann einfach unterwegs machte, war aber nicht mehr als mir Spaß machte, denn damals hatten wir auch noch eine Reinigungs- und Bügelfrau.
Wäre ich nicht so stressanfällig gewesen, wofür weder mein Mann und ich einen Namen hatten, aber was wir als Fakt mit einrechnen mussten, weil ich sonst eine depressive Episode bekam, wäre ich sicherlich noch an der Uni und gar nicht mit meinem Mann zusammen an einen anderen Ort gezogen.
Bis dahin bestimmten also neben den Chancen, die mir die Wohlstandsjahre präsentiert hatten, am meisten meine unbekannten Belastungsgrenzen, wo und wie ich Geld verdiente, das ist glasklar. Das war nicht Geschlechterfrage, das war keine Soziale Frage, das waren meine damals unbekannten Diagnosen.
Als also unser Sohn zu uns kam, hatten wir also auch sozial beste Vorraussetzungen! Krankheitsbedingt war aber das, was folgte, der Wahnsinn, aber m e i n Wahnsinnsleben und ich bereue es nicht.
DACHTEN WIR!
Dass das Jugendamt nur einer Adoption unseres Sohnes zustimmte, wenn einer von uns, also ich, denn mein Mann verdiente sehr gut, 3 Jahre daheim blieb, hatten wir auch mit eingerechnet und konnten wir uns leisten.
Göga war so sicher in seiner boomenden IT-Branche im Sattel, dass er auch davon ausging, in der Mischung von Homeoffice und Anwesenheit viel vom Aufwachsen unseres Sohnes mitzubekommen und mitzugestalten.
Und dann kurz nach unserer glücklichen Adoption war schon klar, dass Sohni ein Turbokind war mit dem Anstrengungsfaktor von 4 Kleinkindern wie meine Schwiegermutter, Ärztin und Mutter von 4 Kindern, mir bestätigte und gleichzeitig brach die IT-Blase zusammen!
Göga wurde sogar einige Monate arbeitslos! Das war zwar für unsere kleine Familie eine gemeinsam genossene Zeit, weil wir auch da keine Geldsorgen hatten und auch klar war, dass Göga wieder einen guten Job finden würde.
Aber ab da war es bis heute vorbei mit dem Goldrausch und viel Freizeit trotzdem!
Es gab seitdem gar keine festen Arbeitszeiten mehr. Es gibt Nachtarbeit, lange, kurze und richtig lange Geschäftsreisen. Urlaub ohne Arbeit gibt es nicht.
Aber wir haben uns gemeinsam dafür entschieden, um unsere Familie für jetzt und in Zukunft soweit möglich abzusichern inklusive Sohnis Zukunft ohne uns mit all seinen Betreuungsbedürfnissen. Und ich bin im Falle einer Scheidung nicht finanziell benachteiligt, das sichern wir ab.
Und mein Mann liebt seinen Job und hat da mit behindertem Sohn und kranker Frau seinen Austobeplatz unter Gesunden!
Weil er aber so unplanbare Arbeitszeiten hat und hatte, kamen zu vielen ungedachten Tages- und Nachtzeiten dann immer Stunden zusammen, in denen er Sohni doch übernahm. Und er tat das auch und liebte Sohni.
Nur hatten weder er noch ich gedacht, wie sehr sich die Arbeitswelt ab unserer Elternschaft verändern würde, so dass ich die Hauptarbeit mit allen Behinderungen und Förderungen und Arztlaufereien und Nervenaussagereien plus die Gastlawinen, die sich mit Enkel noch verlängerten, doch alleine viel zuviel hatte.
Krankheiten von mir und Behinderung von Sohni und völlig veränderter Arbeitsmarkt schaukelten sich so auf, dass ich nach 6 Jahren anfangen musste, dauerhaft Antidepressiva einzunehmen und Psychotherapien zu machen und Selbsthilfe und was nicht alles.
Dann schaukelte die in Notzeiten besonders krass werdende patriarchalische Ungerechtigkeit bis in kleinste Alltagdinge sich so auf, dass mein Mann und ich beide für sich in einen Tunnelblick der Geschlechterkonfrontation gerieten, dabei hatte niemand von uns was falsch gemacht, sondern wir hatten nur vieles gar nicht gewusst.
Die ist keine Beschwerde und kein Klagen, dies ist Leben. Und ich kenne meine Privilegien.
Aber mal beschrieben aus der sozialen Warte der Arbeitswelt, die sich so schnell komplett ändern kann.
27.01.2022 17:09 •
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